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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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bange!«
    Da erklang es unter einem Schluchzen, wie Engelchen es in ihrem ganzen Leben noch nicht gehört hatte:
    »Todt! Todt! Meine Mutter ist todt!«
    »Tröste Dich! Sei ruhig! Sie ist gut aufgehoben!«
    »Meine Mutter! Meine liebe, liebe, gute Mutter!«
    »Nicht so, nicht so, liebe Gustel! Weine lieber! Weine Dich aus! Das erleichtert das Herz!«
    »O Du mein Gott! Meine Mutter ist todt! Meinetwegen ist sie gestorben! Was soll ich thun? Wenn ich nur auch gleich sterben könnte! Wäre ich doch weg, weg von der Welt!«
    Das arme Mädchen war auf das Tiefste erschüttert. Engelchen versuchte Alles, die Freundin zu trösten, aber ihre gut gemeinten Worte fanden keine Beachtung. Erst mit der Zeit wurde der erste Eindruck dieser traurigen Botschaft überwunden, und die tiefe Erschütterung löste sich in Thränen auf. Dann fragte die Weinende: »Wann ist sie denn gestorben?«
    »Gleich als sie hörte, daß man Euch arretirt und nach der Amtsstadt geschafft habe.«
    »Gleich da! Also vor Schreck! Wie entsetzlich! Wer kann sich da beruhigen! Wer kann sich darüber hinwegsetzen!«
    »Und doch giebt es auch dabei einen Trost!«
    »Welchen? Ich weiß keinen!«
    »Daß Deine Mutter einen guten Tod gehabt hat.«
    »Vor Schreck! Nennst Du das gut?«
    »Sie ist schnell gestorben; sie hat nicht zu leiden gehabt.«
    »Aber sie ist doch gestorben, vor Schreck, vor Entsetzen! Das ist fürchterlich! Das kann ich nimmermehr verwinden! Sie todt, und ich mit dem Vater gefangen! Was ist da mit den armen, kleinen Geschwistern geschehen?«
    »Da brauchst Du Dich nicht zu kränken! Sie sind gut versorgt!«
    »Versorgt? O, man wird sie in das Armenhaus geschafft haben. Und wie sie es dort haben, wie es dort zugeht, das weiß man ja ganz genau!«
    »Es ist wahr, sie sind zunächst nach dem Armenhause geschafft worden; aber sie sind nur wenige Stunden dort geblieben. Der Herr Pastor hat sie geholt!«
    »Der? Gott segne ihn! Er hat sie zu sich genommen?«
    »Nein; aber er hat sie zu Hausers gethan.«
    »Zu Hausers? Da sind sie gut aufgehoben! Hausers sind ja brave Leute. Aber bei ihnen ist die Armuth daheim. Sie haben selbst zu schaffen, um zur Noth auszukommen. Wie wollen sie jetzt für so Viele sorgen können!«
    »Auch da ist geholfen. Es ist nämlich ein fremder Herr zu dem Pfarrer – ah, hast Du schon von dem Fürsten des Elendes gehört?«
    »Nein. Wer ist das?«
    »Das ist ein sehr geheimnißvoller Mann, der zuerst in der Residenz aufgetreten ist. Wo irgend wer in Noth und Sorge gewesen ist, da ist dieser Mann gekommen und hat geholfen. Wo es irgend einen Jammer, ein Elend gegeben hat, da ist er schnell bei der Hand gewesen. Darum hat man ihn eben den Fürsten des Elendes genannt.«
    Gustel machte zu diesen Auseinandersetzungen keine Bemerkung; sie hörte nur zu. Darum fuhr Engelchen fort: »Jetzt nun ist er auch im Gebirge aufgetaucht.«
    »Um zu helfen?«
    »Ja.«
    »Wohl auch bei uns, in unserem Städtchen?«
    »Ja. Und zwar seid Ihr die Ersten gewesen, denen er seine Hilfe gebracht hat.«
    »Wir? Meine Geschwister?«
    »Ja. Er ist am Sonntage in der Dämmerung zum Pfarrer gekommen und hat sich nach Euch erkundigt.«
    »O, der kann nichts Uebles von uns sagen!«
    »Nein, und darum ist dieser fremde Herr auch gleich zur Hilfe bereit gewesen.«
    »Wie will ich ihm dafür danken, wenn ich wieder frei bin.«
    »Das wird Dir sehr schwer werden, denn er hüllt sich in das tiefste Geheimniß. Kein Mensch kennt ihn; kein Mensch hat erfahren, wer er eigentlich ist.«
    »O, ich werde so lange forschen, bis ich es erfahren habe! Was hat er denn für die Geschwister gethan?«
    »Zunächst hat er eine Summe Geldes zum Begräbnisse Deiner Mutter gegeben.«
    »Gott sei Dank! Sie ist also nicht in einem Communsarge begraben worden?«
    »Nein.«
    »Das ist wenigstens ein kleiner Trost. Ein Communsarg! Das ist schrecklich! Man nennt diese Särge nur Nasenquetschen!«
    »Und sodann hat er Geld hergegeben für Hausers, damit Deine Geschwister keine Noth zu leiden brauchen.«
    Gustel holte tief Athem.
    »Das ist wieder ein Trost,« sagte sie. »Nun fallen sie also den armen Hausers nicht zur Last.«
    »Nein. Und ferner ist er hierher gegangen und hat mit dem Untersuchungsrichter gesprochen, um Euch frei zu machen. Dich hat man nicht losgeben können; aber Deinen Vater hat man entlassen, weil der Fürst des Elendes eine Caution bezahlt hat.«
    »Also deshalb! Ich dachte, der Vater sei freigesprochen worden. Wo befindet er sich denn jetzt? Daheim? Hat er

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