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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Lieutenant griff nach der neben ihm auf dem Tische liegenden Zeitung, schob sie dem Anderen zu, deutete auf eine Stelle und sagte: »Da, lies!«
    Der Aufgeforderte las:
     
    »Ein Cavalier, Sohn eines reichen Hauses sucht für augenblicklich zu hohen Zinsen ein Darlehen im Betrage von einigen tausend Gulden. Offerten unter
F
.
P
. in die Expedition dieses Blattes erbeten.«
     
    »Sapperment! Das bist Du wohl?«
    »Ja. Ich habe also inserirt, wie Du siehst,« antwortete der Lieutenant.
    »Und der Erfolg?«
    »Dieser hier!«
    Er streckte die Hand aus und blies darüber hin.
    »Also nichts?«
    »Kein einziger Halunke hat sich gemeldet. Lies nun, was gerade darunter steht!«
    Die angedeutete Stelle lautete:
    »Offizieren, höheren Beamten und Standespersonen werden augenblicklich und zu billigen Bedingungen Darlehne zu jeder gerechtfertigten Höhe gewährt.«
    Dabei war die Adresse angegeben, an welche man sich zu wenden hatte.
    »Auf diese Annonce bist Du wohl geritten?« fragte der Freund. »Auch das habe ich versucht.«
    »Antwort bekommen?«
    »Nein.«
    »So hast Du wohl Deine Adresse gar nicht angegeben?«
    »Pah! Mit der Pseudonymität hätte ich doch nur meine Zeit verschwendet. Ich habe also meinen Namen gesagt.«
    »So ist keine Antwort erfolgt, weil der Betreffende sich erst erkundigt.«
    Und als ob die Bestätigung dieser Ansicht nur auf diese Worte gewartet habe, trat der Diener Heinrich Kreller, Sohn des Hausmannes ein, um einen Brief zu überreichen.
    »Von wem?« fragte der Lieutenant.
    »Von einem fremden Menschen.«
    »Wie sah er aus?«
    »Wie ein Lohndiener.«
    »Ist gut!«
    Der Diener entfernte sich wieder. Scharfenberg öffnete und las den Brief und gab ihn dann dem Freunde hin. Die Zeilen lauteten: »Bitte, sich in der betreffenden Geldangelegenheit gütigst zu mir zu bemühen. Willibald Schönlein.«
    Dabei war die Straße und eine Hausnummer genannt.
    »Endlich!« seufzte der Lieutenant, indem er sich von seinem Sitze erhob.
    »Ja, endlich! Jetzt ist der Knoten gerissen, und die Hoffnung lächelt wieder! Du gehst doch sofort?«
    »Das versteht sich!«
    »Soll ich unterdessen warten?«
    »Du würdest Dich langweilen. So gar schnell wird man mir das Geld nicht vor die Füße werfen!«
    »Gut, ich gehe. Wann soll ich wieder nachfragen?«
    »In der Dämmerung. Deine hundert Gulden sollst Du auf alle Fälle haben. Eine Hand wäscht die andere.«
    »Danke, danke, lieber Bruno! So edle Grundsätze lasse ich natürlich gern gelten.«
    Er ging. Der Lieutenant aber brummte hinter ihm her:
    »Blutegel! Diese Sorte beißt sich so sehr fest bei Einem ein, daß man sie nie wieder los werden kann. Aber ich habe ihm zu viel Vertrauen geschenkt und muß also immer freundlich zu ihm sein. Sonst plaudert er aus!«
    Er kleidete sich zum Ausgehen an. Gerade als er das Zimmer verlassen wollte, öffnete sich die Thür des Vorzimmers. Ein schwarz gekleideter Herr trat ein. Der Lieutenant kannte ihn per Distance; er hatte ihn hier und da gesehen und ›Herr Assessor‹ nennen hören.
    »Entschuldigung!« sagte der Besuch. »Ich sehe, daß Sie zum Ausgehen bereit sind?«
    »Allerdings! Zu wem wünschen Sie?«
    »Zu Herrn Lieutenant von Scharfenberg.«
    »Dauert es lange?«
    »Ich denke, nicht.«
    »Ich bin der Gesuchte. Treten Sie ein!«
    Er trat in sein Zimmer zurück. Der Assessor folgte ihm, zog die Thür hinter sich zu und reichte ihm seine Karte.
    »Bitte, meine Karte, da ich durch Ihr Erscheinen verhindert wurde, mich anmelden zu lassen.«
    Scharfenberg warf einen oberflächlichen, fast geringschätzenden Blick auf den Namen, welchen das kleine Kärtchen zeigte, machte eine leichte, frostige Verbeugung und sagte im Tone eines Mannes, der sich behindert fühlt:»Habe die Ehre! Was wünschen Sie?«
    »Eine Unterredung unter vier Augen.«
    »Wir befinden uns unter vier Augen. Hoffentlich eine Angelegenheit, welche mich nicht bedauern läßt, meinen sehr nothwendigen Ausgang aufgeschoben zu haben!«
    »Ich pflege Niemand ohne Grund zu belästigen.«
    »Also! Privatangelegenheit?«
    Der Assessor ließ einen kalten, forschenden Blick über den Offizier gleiten und antwortete:
    »Sind Sie vielleicht im Besitze eines Stuhles, Herr von Scharfenberg?«
    Der Gefragte erröthete ein Wenig und meinte:
    »Sie sehen deren sechs hier stehen.«
    »Und uns dabei!« erklang es scharf.
    »Hm! Ich glaubte, wir würden schnell fertig sein! Also, nehmen wir Platz, Herr Assessor!«
    Er setzte sich, und der Jurist folgte seinem Beispiel. Als

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