Der verlorne Sohn
Elendes?«
»Ja.«
Da klopfte der Gerichtsrath ihm auf die Schulter und sagte:
»Der ist bereits entdeckt, Durchlaucht!«
»Von wem?«
»Von mir.«
»Sie machen mich gespannt! Wer ist es?«
»Na, der Fürst des Elendes ist vor einiger Zeit droben an der Grenze gewesen. Haben Sie vielleicht davon gehört?«
»Ja.«
»Er hat sehr viel Gutes gethan und unter Anderem auch den Pascherkönig fangen wollen. Einen Fehler aber hat er doch begangen, und zwar einen sehr großen.«
»Welchen? Daß er den Waldkönig nicht gefangen hat?«
»Nein, sondern daß er sich legitimirt hat.«
»Ach so! Mit einer Polizeimedaille?«
»Das ginge noch. Aber er hat auch einige Male eine Karte vorgezeigt, welche die Unterschrift des Ministers trug.«
»Gerade so wie die meinige?«
»Gerade so.«
»Sapperlot! So kann ich in den Verdacht kommen, der Fürst des Elendes zu sein!«
»O, Sie kommen nicht in diesen Verdacht, sondern Sie stecken bereits bis über die Ohren d’rin!«
»Bitte, ziehen Sie mich heraus!«
»Fällt mir gar nicht ein. Uebrigens können Sie ja versichert sein, daß alle Diejenigen, welche von der Karte wissen, das tiefste Stillschweigen bewahren werden. Man ist wirklich im hohen Grade über Ihren polizeilichen Scharfsinn erstaunt gewesen. In Folge Ihrer Erlebnisse da droben im Gebirge wurden Sie von dem Landesobergensd’arm gelegentlich einmal der zweite Brandt genannt.«
»Brandt? Wer ist das?«
»Er war ein junger, außerordentlich hoffnungsvoller Polizeibeamter, der leider das Unglück hatte, selbst Verbrecher zu werden.«
»O weh! Und mit diesem Menschen vergleicht man mich!«
»Bitte! Brandt war trotz seiner Jugend ein höchst tüchtiger Polizist. Er hat während der kurzen Zeit seiner Amtsdauer sehr viel geleistet, so daß er bald in Aller Munde war. Und was sein Verbrechen betrifft, so – – –«
Er unterbrach sich und wurde ein Wenig verlegen.
»Bitte, weiter!« sagte der Fürst.
»Nun, es gab damals Leute, welche ihn für unschuldig hielten.«
»Wessen sollte er schuldig sein?«
»Des Mordes, sogar des zweifachen Mordes.«
»Wohl in der Aufregung?«
»Vielleicht. Er wurde zum Tode verurtheilt und verzichtete auf den Anruf der königlichen Gnade.«
»Das ist doch wohl ein Zeichen, daß er unschuldig war.«
»Hm! Warum entfloh er dann?«
»O weh! Er ist entflohen?«
»Ja.«
»Wohin?«
»Wer weiß es? Wenn man es wußte, würde man ihn ja sehr bald zurückgebracht haben. Ich interessire mich für diesen Fall noch heute im höchsten Grade.«
»Das läßt sich denken!«
Der Gerichtsrath warf schnell den Kopf empor und fragte:
»Wie? Das läßt sich denken und warum?«
»Sie waren damals noch jung im Amte und – –«
»Es ist aber zwanzig Jahre her!« fiel der Rath ein.
»Und hatten bei der Verhandlung, in welcher jener Brandt verurtheilt wurde, das Protokoll zu führen.«
»Wie! Das wissen Sie?«
»Ja.«
»Auch das! Durchlaucht, ich wiederhole nun zum zehnten Male, daß Sie wirklich, wirklich allwissend sind!«
»O, das ist ja nur Zufall.«
»Daran, nämlich an Zufall, möchte man bei Ihnen fast nicht glauben.«
»Glauben Sie es immerhin. Ich traf nämlich ganz zufällig kürzlich mit Brandt’s Vater zusammen und – – –«
»Lebt denn der noch?« unterbrach ihn der Beamte.
»Sein Vater und seine Mutter, Beide leben noch. Der alte Mann erzählte mir von jener Geschichte. Dabei wurde Ihr Name als der des Protokollanten genannt; ich erkundigte mich weiter, und so erfuhr ich, daß der Protokollführer inzwischen Gerichtsrath und Director des Bezirksgerichts geworden sei.«
»Das ist allerdings Zufall.«
»Da ich mich nun für den Fall ›Brandt‹, wie der Polizist und Jurist sich auszudrücken pflegt, zu interessiren begann, so war es natürlich, daß ich auch an Sie dachte. Und so war es mir recht lieb, daß der Fall ›Leda‹ mich mit Ihnen zusammenführte.«
»Sehr verbunden,« sagte der Gerichtsrath, indem er sich verneigte. »Aber bitte, wo trafen Sie den alten Brandt?«
»Hier in der Residenz.«
»Lebt er vielleicht hier?«
»Ja, er ist pensionirt worden.«
»Können Sie mir seine Wohnung angeben?«
»Sehr genau: Siegesstraße Nummer Zehn. Wollen Sie vielleicht mit dem alten Manne sprechen?«
»Ja. Ich will Ihnen sehr aufrichtig gestehen, daß ich nie so recht an die Schuld seines Sohnes geglaubt habe.«
»Hatten Sie Ursache dazu?«
»Directe nicht. Aber ein Polizist, wie er, mordet nicht. Er trat auch nicht auf wie Einer, der sich einer so
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