Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
Vom Netzwerk:
makelloser Ringe in die Luft.
    »Wenn deine Hündin in einer Minute fünfzehn Ratten töten kann, gebe ich dir fünfzig Guineen für sie.«
    »Hundert.«
    Der Captain verschluckte sich am Rauch. »Einhundert Guineen?«, stieß er hustend hervor. »Bist du verrückt geworden?«
    »Das ist mein Preis.«
    Der Captain musterte Tom von oben bis unten. Das Haar des Kanaljägers war zu klumpigen Strähnen verkrustet, und seine alte Jacke dünstete den Gestank der Kanäle aus. Nur Gott allein wusste, wie übel der Geruch für die Hündin sein mochte, die ihre Schnauze in sein Revers gesteckt hatte. Einhundert Guineen! Der alte Gauner wollte ihn wohl auf den Arm nehmen? Ein Landstreicher wie er musste doch schon mit fünfzig Guineen der glücklichste Mensch auf Erden sein.
    »Ganz unmöglich«, erwiderte er mit einem Achselzucken. »Fünfzig ist das Äußerste, was ich zahle.«
    Auch Tom zuckte die Achseln. »Einhundert«, sagte er noch einmal.
    Einen Augenblick starrten sich die beiden Männer an. Tom zeigte sich völlig ungerührt, während das eine Auge des Captain zuckte und sich auf seinen Wangen zwei rote Flecken bildeten.
    »Fünfundsiebzig«, sagte der Captain schließlich.
    Tom zog eine Augenbraue hoch. »Gute Nacht, Brassey«, sagte er ruhig und nickte dabei über die Schulter des Captain hinweg dem Wirt zu.
    »Nun komm schon, Tom«, drängte Brassey, der den Captain nervös beäugte. »Fünfundsiebzig Guineen …«
    »Gute Nacht«, sagte Tom erneut.
    Der Captain musste ein paar Riesenschritte gemacht haben, denn er war schon an der Tür, als Tom sie öffnen wollte.
    »Achtzehn in einer Minute.«
    »Für einhundert Guineen?«
    »Für einhundert Guineen.«
    Tom überlegte einen Augenblick und streichelte dabei zärtlich Ladys Ohr. Dann nickte er.
    »Morgen Abend?«
    Tom schüttelte den Kopf. »Das Tier braucht Ruhe.«
    Der Captain grinste höhnisch, hielt aber den Blick auf Lady geheftet, als wäre sie ein saftiges Steak.
    »Ich dachte, sie ist ein
Phänomen

    »Sie haben sie ja erlebt.«
    »Ein Phänomen ohne Mumm in den Knochen«, gab der Captain barsch zurück und fuchtelte mit der brennenden Zigarrenspitze der Hündin vor der Schnauze herum. »Du glaubst, für so etwas zahle ich einhundert Guineen?«
    »Dann lassen Sie’s eben«, erwiderte Tom achselzuckend.
    Der Captain kaute auf seiner Zigarre, um schließlich einen Schwall Rauch auszustoßen. »Na gut, na gut«, gab er wütend nach. »In einem Monat, von heute an.«
    »Einhundert Guineen«, wiederholte Tom langsam, als wollte er sich die Worte auf der Zunge zergehen lassen.
    »Einhundert Guineen.« Der Captain blickte die Hündin finster an, aber die Gier legte einen sanften Zug um seine Mundwinkel. »Sie täte gut daran zu beweisen, dass sie es wert ist.«
    Einhundert Guineen. An jenem Abend trug Tom Lady, die sich an seine Brust schmiegte, den ganzen Weg nach Hause. Einhundert Guineen. Achtzehn in einer Minute waren ein harter Brocken, aber nicht unmöglich, nicht für Lady. Sie war kein gewöhnlicher Hund. Tom würde seine einhundert Guineen bekommen, daran bestand kein Zweifel. Wen kümmerte es jetzt noch, wenn man der Königin von England unten in den Tunneln einen Palast baute? Er würde dort nicht mehr hinuntersteigen müssen, selbst wenn er noch ein Dutzend Jahre zu leben hätte. Einhundert Guineen! Der Gegenwert für Abertausende von Ratten, für jahrelanges Rattenfangen, sofern das überhaupt möglich war – für einen einzigen Hund. Jemand hatte ihn mitleidig angelächelt, damals, als er Lady vor dem Badger auflas. Wer hätte gedacht, dass jemand wie er ein solches Glück haben würde? Einhundert Guineen. Einhundert Guineen! Es war geradezu ein Wunder.
    In seiner Unterkunft teilten sich die beiden eine Schüssel Eintopf. Da rührte sich in ihm auf einmal ein Gefühl der Angst. Vielleicht war es falsch gewesen, auf einem Monat zu bestehen. Das gab dem Captain genügend Zeit, es sich anders zu überlegen, sich für einen anderen Hund zu begeistern. Tom schluckte schwer und nahm noch einen Bissen Brot. Andererseits kamen Hunde wie Lady nicht jeden Tag vorbeispaziert. Und er hatte Zeit, sie noch ein wenig mehr für den Kampf zu trainieren, damit ihm das Geld auch sicher war. In ein paar Wochen würde er seine hundert Guineen bekommen – einhundert Guineen! –, und der Captain, ja, der Captain würde Lady bekommen. Toms Hand wanderte wie von selbst zu der Stelle auf ihrem Bauch, an der sie gern gekratzt wurde. Sie räkelte sich wohlig und

Weitere Kostenlose Bücher