Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
können.
    Mein Freund Barry Nuzzo, der ebenfalls zu den Geiseln gehört hatte, schaute herein, um mit mir zu reden. Er schloss die Tür hinter sich und kam im Slalom um die Kartons herum zu meinem Schreibtisch. Ich wollte nicht über mein Ausscheiden aus der Kanzlei sprechen, und so erzählte ich ihm von Claire. Seine Frau stammte wie Claire aus Providence, was in Washington eigenartig bedeutsam erschien. Wir hatten uns im Lauf der Jahre einige Male gegenseitig eingeladen, doch das war ebenso eingeschlafen wie meine Ehe.
    Er war erst überrascht und dann traurig, schien es aber ganz gut zu verkraften.
    »Das ist ein schlechter Monat«, sagte er. »Es tut mir leid für dich.«
    »Es war ein langer, langsamer Niedergang.«
    Wir sprachen über alte Zeiten und die Kollegen, die gekommen und gegangen waren.
    Wir hatten uns nicht die Zeit genommen, die Mister-Sache bei einem Bier zu bereden, und das erschien mir seltsam. Zwei Freunde sehen dem Tod ins Auge, kommen aber davon und sind dann zu beschäftigt, um einander zu helfen, damit fertig zuwerden.
    Schließlich kamen wir doch darauf zu sprechen. Angesichts der Kartons, die mitten im Zimmer standen, war es schwierig, das Thema zu vermeiden. Mir wurde bewusst, dass die Geiselnahme der Grund für diese Unterhaltung war.
    »Es tut mir leid, dass ich dich habe hängen lassen«, sagte er. »Ach, komm schon, Barry.« »Nein, wirklich. Ich hätte dir helfen sollen.«
    »Warum?«

»Weil es offensichtlich ist, dass du den Verstand verloren hast«, sagte er lachend.
    Ich versuchte, das Thema so locker zu behandeln wie er. »Ja, ich bin im Augenblick vielleicht ein bißchen verrückt, aber darüber komme ich schon hinweg.«
    »Nein, im Ernst: Ich hatte gehört, dass du Probleme hast. Letzte Woche wollte ich mit dir reden, aber du warst nicht da. Ich hab mir Sorgen um dich gemacht, aber du weißt ja, ich hatte bei Gericht zu tun, das Übliche.«
    »Ich weiß.«
    »Ich habe wirklich ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht mit dir gesprochen habe, Mike. Es tut mir leid.«
    »Jetzt hör schon auf.«
    »Wir alle hatten eine Riesenangst, aber du hättest wirklich getroffen werden können.«
    »Er hätte uns alle umbringen können, Barry. Wenn es echtes Dynamit gewesen wäre und der Schuss ihn verfehlt hätte, wären wir in die Luft geflogen. Lass uns das nicht noch mal durchkauen.«

    »Das letzte, was ich gesehen habe, als wir zur Tür hinausstürzten, warst du, schreiend und voller Blut. Ich dachte, du wärst getroffen. Wir schafften es hinaus auf den Gang, die Leute packten uns und schrien auf uns ein, und ich wartete auf die Explosion. Ich dachte: Mike ist noch da drinnen, und er ist verletzt. Bei den Aufzügen blieben wir stehen. Irgend jemand schnitt die Seile an unseren Handgelenken durch, und als ich mich umsah, schleppten dich die Polizisten gerade hinaus. Ich werde nie das viele Blut vergessen. Dieses viele Blut.«
    Ich sagte nichts. Er brauchte das. Es würde irgendwie sein Gewissen beruhigen.
    Er würde Rudolph und den anderen sagen können, er habe wenigstens versucht, es mir auszureden.
    »Auf dem Weg nach unten hab ich immer wieder gefragt: >Ist Mike verletzt? Ist Mike verletzt?< Keiner wusste es. Es kam mir vor wie eine Stunde, bis endlich jemand sagte, dass du unverletzt bist. Ich wollte dich anrufen, sobald ich zu Hause war, aber die Kinder haben mir keine Ruhe gelassen. Ich hätte es tun sollen.«
    »Vergiss es.«
    »Es tut mir leid, Mike.«
    »Bitte sag es nicht noch einmal. Es ist vorbei, erledigt. Wir hätten tagelang darüber reden können, und es wäre ganz genauso gekommen.«
    »Wann hast du beschlossen, aus der Kanzlei auszuscheiden?«
    Darüber musste ich kurz nachdenken. Die Wahrheit wäre gewesen: in jenem Augenblick am vergangenen Sonntag, als Bill das Laken zurückgezogen und ich meinen Freund Ontario gesehen hatte, wie er in Frieden ruhte. In diesem Augenblick, in der städtischen Leichenhalle, war ich ein anderer Mensch geworden.
    »Am Wochenende«, sagte ich, ohne es weiter zu erklären. Er brauchte keine Erklärung.
    Er schüttelte den Kopf, als wäre es in erster Linie seine Schuld, dass die Pappkartons hier standen. Ich beschloss, es ihm leichter zu machen. »Du hältst mich nicht davon abhalten können, Barry. Niemand hätte mich davon abhalten können.«
    Er nickte - irgendwie verstand er es. Eine Pistole wird auf deinen Kopf gerichtet, die Zeit steht still, das Wichtigste stürzt auf dich ein: Gott, Familie, Freunde. Geld ist mit einemmal völlig

Weitere Kostenlose Bücher