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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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das?«, fragte der erste Bruder erstaunt.
    »Man nimmt den Kopf, drückt ihn herab und bewegt ihn hin und her, ganz einfach.«
    »Hm, du hast Recht«, stimmte der erste Bruder zu,
    »aber ich kenne nur einen, der solche Missgestaltung im Gesicht trägt, und der heißt Ozo.«
    »Richtig!« Der zweite schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Ozo! Dass wir ihn nicht gleich erkannt haben!« Beide traten dicht an den Gehänselten heran. Sie waren einen halben Kopf größer als er. »Bist du Ozo?«
    »Ihr Hornochsen ...«
    »Wie bitte?«, erklang es unisono. »Hat das Schaf was gesagt?« fragte der erste Bruder den zweiten. »Hast du was gesagt?«, fragte der zweite Ozo.
    »Ach, nichts.« Ozo blickte zu Boden. Nina war derweil herangekommen, er wollte sich vor ihr keine Blöße geben. Außerdem waren die Zwillinge mindestens anderthalb Jahre älter als er. Eine Keilerei wäre aussichtslos gewesen. Nina begann den Stand aufzubauen. Rasch trat Ozo auf sie zu.
    »Soll ich dir helfen?«, fragte er ritterlich.
    »Nicht nötig«, mischten die Brüder sich ein, »das schaffen wir auch ohne dich.« Tatsächlich packten sie kräftig mit an, und in wenigen Augenblicken waren die Waren ausgebreitet. Ozo sah, dass Ninas Angebot sich an diesem Tag zum großen Teil mit dem seinen deckte. Das war schlecht, zu viel Ware von einer Sorte drückte die Preise. Doch vielleicht bestand die Möglichkeit, den einen oder anderen Betrag vorher abzusprechen. Das würde ihm die Gelegenheit geben, sich mit Nina zu unterhalten. Inzwischen hatte sich die Szenerie belebt. Frauen und Mägde gingen durch die einzelnen, aus Ständen gebildeten Gassen und verglichen die Waren. Ab und zu war ein Bauer dazwischen, der nach Federvieh Ausschau hielt. Ozo hoffte, dass die Brüder bald verschwinden würden. Doch das Gegenteil trat ein: Plötzlich erschien auch Orantes auf der Bildfläche. Nicht ganz sicheren Schrittes, aber glänzender Laune. Offenbar war er schon vor Ozo da gewesen und hatte sich zwischenzeitlich ein paar Gläschen in der Ortsschenke gegönnt.
    „Na, ihr Lausebande!«, rief er aufgeräumt, »schon was verkauft?«
    »Nein Vater, noch nicht.« Die Zwillinge klangen plötzlich lammfromm. Kein Zweifel: Orantes hatte in seiner Familie das Sagen. So freundlich und humorvoll er war, pariert werden musste bei ihm. Keinem seiner Kinder wäre eingefallen, ihm eine vorlaute Antwort zu geben, nur weil er einen über den Durst getrunken hatte.
    »Wir haben gerade erst aufgebaut, Vater«, sagte Nina mit ihrer süßen Stimme.
    »Wie schön«, rief Orantes und machte eine ausholende Geste, »dass man sich als alter Vater auf seine Brut verlassen kann! Macht weiter so, Kinder, in ein, zwei Stunden schau ich noch mal vorbei. Adios!« Schwungvoll entfernte er sich.
    Ozo blickte ihm nach und hätte viel darum gegeben, wenn seine Söhne ihm gefolgt wären. Doch die Zwillinge hatten offenbar den Auftrag, Nina beim Verkauf der Waren zu unterstützen. »Noch nicht viel los, Bruder«, meinte der erste und ließ sich ächzend an der Stadtmauer nieder.
    »Hast Recht«, sagte der zweite und setzte sich daneben.
    »Am besten, wir machen noch ein Nickerchen, bevor der Trubel richtig einsetzt.«
    Zu Ozos Verwunderung schlossen beide die Augen und waren nach wenigen Augenblicken eingeschlafen. Nina stand hinter ihrem Wagen und richtete noch einige Früchte aus. Ozo hatte den Eindruck, dass sie absichtlich nicht zu ihm herüberblickte. Ob sie sich nicht traute? Und wenn ja, warum? War sie vielleicht verlegen? Ozo kam sich plötzlich sehr männlich vor. Ein Hund streunte heran und kroch unter Ninas Wagen. Er schnupperte heftig. Dann hob er plötzlich das Bein und pinkelte gegen ein Rad. Ohne nachzudenken, sprang Ozo vor und versetzte dem Tier einen Tritt. Jaulend schoss es davon. Die Zwillinge schnauften im Schlaf, schmatzten mit den Lippen, aber schliefen weiter.
    »Der arme Hund! Warum hast du ihn getreten?«, rief Nina vorwurfsvoll.
    »Ja, äh ...« Die Reaktion Ninas war nicht so, wie Ozo sie sich erhofft hatte. Statt ihm dankbar zu sein, schien sie Mitleid mit dem Köter zu haben.
    »Er hat an deinen Wagen gepinkelt!« Ozo gab seiner Stimme einen Unterton, von dem er hoffte, dass er empört klang.
    »Na und? Ihr Männer pinkelt doch auch überallhin!«
    »Ja ...« Ozo merkte, wie er rote Ohren bekam. Erst der Ärger mit den Zwillingen, und nun ließ ihn die Schwester auch noch abblitzen. »Hab's nur gut gemeint«, sagte er mühsam. Er wandte sich beleidigt ab und

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