Der Wanderchirurg
zu tragen, und am Lese-und Schreibunterricht will er auch nicht teilnehmen.« Orantes machte eine hilflose Geste.
„Gago wird bald wieder das Essen aufs Feld bringen, und er wird dabei lachen und fröhlich sein«, erklärte Vitus.
»Jetzt willst du uns auf den Arm nehmen.« Orantes blickte verärgert. »Die Sache ist zu ernst, als dass man darüber spaßen sollte.«
»Ich spaße nicht, Orantes«, entgegnete Vitus ruhig, »denn ich werde Gago operieren.«
Drei Tage später, an einem Dienstag, saß Vitus in der strahlenden Vormittagssonne auf dem Hof. Es war der Morgen, an dem er Gago operieren wollte. Er hatte sich dazu aus der Küche den großen Tisch herausgestellt, auf dem nun seine chirurgischen Instrumente lagen, allesamt sorgfältig gereinigt und vor Sauberkeit blitzend. Ihren makellosen Zustand verdankten sie dem reinen Wasser aus dem Hofbrunnen. Daneben stand eine Schüssel, in der sich eine grünlich weiße Flüssigkeit befand, dann kam ein Napf mit Essig, dazu ein Schwamm, zwei goldene Nadeln, die ungefähr so lang wie sein kleiner Finger waren, reichlich fester Faden, ferner Wundsalbe und Pflaster. Natürlich lag auch das Buch De morbis griffbereit.
»Bist du so weit?« Der Magister trat aus dem Haus. In der Hand hielt er drei Bälle. »Ich habe Gago die ganze Zeit mit meinen Jonglierkünsten abgelenkt, aber langsam geht's nicht mehr. Er ist fast so aufgeregt wie Orantes und die übrige Familie.«
»Ja, ich bin so weit.« Vitus war ebenfalls nervös, doch er versuchte, äußerlich ruhig zu wirken. Er wusste aus Erfahrung, dass die Aufregung bei ihm mit dem Beginn der Operation wie weggeblasen sein würde. »Komm bitte mal her, Magister.«
»Was ist denn noch?
»Ich hatte dich doch gebeten, mir bei dem Eingriff zu assistieren, und ich will sicherstellen, dass alles wie am Schnürchen klappt, lass uns deshalb noch einmal die einzelnen Instrumente durchgehen.«
»Wenn du meinst.«
Sie taten es. Als sie fertig waren, fragte der Magister:
»Wo hast du eigentlich die ganzen Sachen her, die goldenen Nadeln und das alles?«
»Das hat mir Orantes gestern besorgt. Ein Teil unserer Reisekasse ist dafür draufgegangen, aber du bist doch einverstanden, oder?«
»Was für eine Frage!« Der Magister tat beleidigt. »Was ist das übrigens für grünliches Zeug da in der Schüssel?«
»Das ist ein Narcoticum, das ich gestern präpariert habe.«
»Woraus hast du's denn gemacht?«
»Ich habe dafür Kapseln des Schlafmohns genommen, sie eingeritzt und den heraustretenden Milchsaft aufgefangen. Dann habe ich einen Extrakt aus acht Unzen Alrauneblättern und drei Unzen Schierlingsblättern hergestellt. Milchsaft und Extrakte habe ich anschließend in so viel Wasser aufgelöst, dass die Spongia somnifera sie gut aufnehmen kann.«
»Die was?«
»Der Schlafschwamm. Man braucht ihn, um den Patienten zu betäuben.«
»Und die goldenen Nadeln, was hat es mit denen auf sich?«
»Die brauche ich zum Durchstoßen der Wundränder. Aber nun geh rein und hole Gago und Orantes, die anderen sollen drin bleiben, sie würden nur stören.«
»In Ordnung.«
Gleich darauf erschien Orantes mit Gago an der Hand. Der kleine Stotterer war leichenblass vor Aufregung.
»Du brauchst überhaupt keine Angst zu haben, Gago«, sagte Vitus freundlich. »Dein Papa und du, ihr setzt euch dort auf den Stuhl, und alles Weitere überlasst ihr mir und dem Magister.«
Der Kleine nickte. Er war den Tränen nahe.
»Vitus weiß genau, was er tut, es steht alles in dem dicken Buch da.« Orantes hatte sich Gago mittlerweile auf den Schoß gesetzt.
»Genau«, nickte Vitus. »Darin wird von zwei berühmten Männern erzählt, die das, was wir gleich machen, schon vor über tausend Jahren beschrieben haben. Sie heißen Galenos und Celsus, der eine war ein Grieche, der andere ein Römer.« Gago schniefte.
»Und was die konnten, das können wir schon lange, was? Das Schönste aber ist, dass du von alledem gar nichts merken wirst. Du schläfst ein, und wenn du wieder aufwachst, ist alles vorbei. So einfach ist das!«
Gago nickte zaghaft. Die Operation schien doch nicht so schrecklich zu sein, wie er befürchtet hatte. Außerdem wünschte er sich nichts sehnlicher, als ganz normal wie andere Jungen auszusehen.
»Fein.« Vitus nahm ebenfalls Platz, und zwar so, dass er Gago direkt gegenübersaß. Er überprüfte noch einmal seine Sitzposition. Für die Operation brauchte er ideales Licht, deshalb hatte er den Eingriff auf den Vormittag gelegt. Zu
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