Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
satteln wollte, kam Rachel auf sie zu.
»Die Stute reite ich. Du kannst laufen!« Rachel hatte zwar zunächst auf den Wagen steigen wollen, es sich nun aber anders überlegt.
»Was?« Nizhoni verwendete die spanische Sprache, weil sie wusste, dass Rachel sie nicht mochte.
Diese wandte sich mit einer ärgerlichen Bewegung zu Gisela um. »Sag deiner Sklavin, dass ich das Pferd nehme!«
Erneut lag Streit in der Luft, doch diesmal schlug Gisela eine andere Taktik ein. »Also gut! Aber dann wirst du auch die Erkundung durchführen müssen. Nizhoni sollte nämlich auf Indianer und Mexikaner achtgeben und uns warnen.«
Die Späherin spielen und dabei ihr eigenes Leben riskieren wollte Rachel ganz bestimmt nicht. Selbst der Gedanke, dass Nizhoni eine Indianerin war und es sicher mit den Rothäuten hielt, überwog in dem Augenblick nicht ihre Angst, sich von der Gruppe zu entfernen. Rasch suchte sie nach einer Möglichkeit, wie sie ohne Ansehensverlust einen Rückzieher machen konnte.
»Fast hätte ich es vergessen: Von den anderen Frauen kann keine einen Wagen lenken, und dir darf man es wegen deines gesegneten Zustands nicht überlassen. Daher muss ich die Zügel nehmen. Cécile übernimmt den Begleitschutz beim Wagen, während deine Sklavin vorausreitet und uns vor Rothäuten und Mexikanern warnt. Haben wir genug Waffen dabei?«
Gisela hatte eine Flinte und die Doppelpistole auf den Wagen gelegt, eine weitere Flinte hing am Sattel der Stute. Darüber hinaus steckte die Großvaterpistole in Nizhonis Gürtel. Von den anderen besaß jedoch nur Cécile eine Vogelflinte kleineren Kalibers.
Daher nahm Rachel Nizhonis Gewehr an sich. »Ich glaube, so müsste es gehen!«, sagte sie und schwang sich auf den Bock. Neben ihr nahm Gisela Platz, während die anderen sich auf die Ladefläche setzten und sich dort festhalten mussten.
»Vorwärts! Ho!«, rief Rachel theatralisch und schwang die Peitsche. Der Gaul zog an und setzte den Wagen in Bewegung. Die Reise nach San Felipe de Austin hatte begonnen. Als Gisela sich umsah, entdeckte sie Pepe, der mit einem schweren Bündel beladen den Weg zu den Vaqueros antrat. Als er bemerkte, dass sie sich zu ihm umschaute, winkte er ihr mit der freien Hand zu.
Wie befohlen hielt Cécile Poulain sich nahe bei dem Wagen, während Nizhoni voranritt, um zu erkunden, ob der Weg frei war. So nahe an der Farm hätte sie es noch nicht tun müssen, doch sie wollte mit sich und ihren Gedanken allein sein. Während sie nach Südosten ritt und hinter ihr das Rauschen des Rio Colorado verklang, sagte sie sich, dass es falsch war, die Anweisungen von Fahles Haar zu missachten. In San Felipe waren sie der rettenden Grenze der Vereinigten Staaten kaum näher als auf der Farm, aber die Stadt war das Zentrum der rebellierenden Texaner und damit ein wichtiges Ziel der mexikanischen Armee. Wenn es General Houston und Fahles Haar nicht gelang, Santa Ana vorher zu besiegen, würden sie aus San Felipe fliehen müssen und hatten wertvolle Zeit verloren.
Auch Gisela machte sich ihre Gedanken. Sie war froh, nicht selbst das Pferd lenken zu müssen, denn sie fühlte sich noch immer nicht gut. Die Schmerzen des Kolbenhiebs waren fast vergangen, aber ihre Schwäche hatte zugenommen. Zudem hatte sie in der Nacht schlecht geschlafen und war sehr müde. Es gab jedoch untertags keine Möglichkeit, sich hinzulegen und ein wenig auszuruhen. Das würde sie erst wieder in San Felipe tun können.
Warum müssen Männer immer Krieg führen?, fragte sie sich. Es gab auch ohne Krieg genug Leid auf der Welt. Dabei glitten ihre Gedanken zurück in die Heimat, und sie sah sich über den Vorplatz des Schlosses von Renitz gehen. Ihre mütterliche Freundin Luise Frähmke und die Köchin Cäcilie kamen ihr entgegen und fragten, wie es ihr denn so ergangen wäre. Noch während sie freudestrahlend die Arme ausstreckte, um die beiden zu umarmen, erhielt sie einen heftigen Stoß, der sie gegen Rachel warf, und begriff, dass sie kurz eingenickt war und geträumt hatte.
Rachel hatte den Wagen in ein Loch gelenkt, in dem das linke Rad bis auf die Achse eingesunken war. Nun peitschte sie das Pferd, damit es das Gefährt wieder herauszog.
Kochend vor Wut nahm Gisela ihr die Peitsche ab und hätte sie ihr am liebsten selbst übergezogen. Stattdessen sagte sie: »So wird das nichts! Wir müssen aussteigen und den Wagen herausheben. Hoffentlich ist das Rad nicht beschädigt. Einen Stellmacher werden wir hier in der Gegend nicht finden.«
Es
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