Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
diesmal keine Proteste, als Gisela auf Nizhonis Rat hin erklärte, dass sie Doppelwachen aufstellen sollten, die sich gegenseitig am Einschlafen hindern mussten.
Rachel erklärte sofort, dass sie mit Marguerite wachen würde. Da sich Gertrude mit Cécile Poulain zusammentat und Arlette Laballe und Charlotte Poulain einander als Partnerin wählten, blieben Gisela und Nizhoni zusammen. Den beiden wurde auch die letzte Wache vor Morgengrauen übertragen, weil die anderen hofften, nach ihren Wachen ausschlafen zu können.
»Das ist eine gute Entscheidung«, raunte Nizhoni Gisela zu. »Die Zeit unserer Wache ist die Zeit, in der die roten Krieger auf Kriegspfad gehen. Wir werden aufmerksam sein müssen.«
»Das werden wir«, versprach Gisela und sagte sich, dass sie die Gelegenheit nützen würde, um ihrer Freundin ein paar englische Floskeln beizubringen. Wenn sie nach San Felipe de Austin kamen, war es wichtig, dass Nizhoni sich halbwegs verständlich machen konnte.
6.
A ll die Angst, die die Frauen ausstanden, erwies sich als unnötig, denn weder in dieser noch in der nächsten Nacht schlichen Feinde um ihr Lager herum. Auch unter Tag nahmen sie keine Gefahr wahr. Dennoch atmete Gisela erleichtert auf, als am Abend des dritten Reisetags Belchers Farm vor ihnen auftauchte.
Ihr Wagen war schon von weitem bemerkt worden, und Andreas Belcher kam ihnen auf seinem Ackergaul entgegen.
»Dachte mir doch, dass ihr es seid«, begrüßte er die Frauen. »Derzeit reisen viele nach San Felipe, sei es, um sich Houstons Armee anzuschließen oder um dort Schutz zu finden. Die Mexikaner hetzen immer noch Indianerstämme auf, unsere Farmen anzugreifen, und einzeln steht man diesen Mordbrennern hilflos gegenüber. Daher werden Anneliese und ich in unser neues Haus in San Felipe ziehen und nur dann hierherkommen, wenn es unumgänglich ist. Außerdem sind derzeit so viele Menschen in San Felipe, dass meine Frau glaubt, einige Betten vermieten zu können.«
»Weiß man schon mehr von Santa Ana?«, fragte Gisela.
Der Siedler schüttelte den Kopf. »Mal heißt es, er hätte Mexico City noch nicht verlassen, und dann wiederum wollen ihn Leute in Querétaro oder San Luis Potosí gesehen haben. Aber wo der General genau steckt, weiß keiner. Auf jeden Fall haben wir noch ein paar Monate Ruhe vor ihm. Seine Soldaten müssen mehr als tausend Meilen zu Fuß zurücklegen, und er braucht Nahrungsmitteldepots, um sie versorgen zu können. Vor Juni, Juli wird er wohl kaum in Texas auftauchen.«
»Das ist beruhigend.« Ihren Worten zum Trotz ärgerte Gisela sich, weil sie sich von den anderen Frauen hatte überreden lassen, ihre Farm zu verlassen. Jetzt würde sie mehrere Monate in San Felipe verbringen und abwarten müssen, was um sie herum geschah.
»Können wir bei dir über Nacht bleiben, Nachbar? Morgen wollen wir dann zur Farm meiner Eltern weiterfahren«, rief Rachel dazwischen, weil sie sich von Belcher missachtet fühlte.
»Natürlich. Allerdings werdet ihr im Schuppen schlafen müssen. Ihr müsst eben ein wenig Heu unterlegen, damit ihr weich liegt!« Belcher lachte, lenkte seinen Gaul um den Wagen herum und ritt voraus.
Anneliese erwartete sie bereits vor der Tür und umarmte jede einzelne Frau bis auf Nizhoni. Auf Giselas mahnendes Räuspern hin hieß sie die Navajo recht kühl willkommen und wandte sich dann Rachel zu, die sie von früher her kannte.
»Es war klug von euch, hierherzukommen. In eurem Siedlungsgebiet leben viele Mexikaner, und man weiß leider nicht, wer von diesen zu Santa Ana hält und auf wen man sich nicht verlassen kann. Den Indianern ist derzeit auch nicht über den Weg zu trauen! Weiter im Süden wurden mehrere Farmen überfallen. Wir wissen zwar nicht, ob es Tonkawa oder Komantschen waren, aber sobald unsere Jungs Santa Ana den Hosenboden strammgezogen haben, müssen die Schuldigen bestraft werden.«
»Das wird auch Zeit«, antwortete Rachel und bemerkte zufrieden, dass sie wieder die erste Geige in der Gruppe spielte.
Gisela hingegen zitterte vor Schwäche und bat darum, sich hinlegen zu dürfen.
»In deinem Zustand ist so eine Reise doch anstrengend«, antwortete Anneliese und führte sie in den Schuppen, in dem sie ihr Nachtlager aufschlagen sollten. Nizhoni kam mit, breitete ein wenig Heu als Unterlage für Gisela aus und zog eine Decke über sie.
»Schlaf gut! Morgen geht es dir gewiss besser.«
»Ich wollte, wir könnten ein paar Tage hierbleiben«, klagte Gisela. »Doch Rachel will möglichst
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