Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
allein schon dafür Nizhoni dankbar sein musste. Der Junge war ihr ans Herz gewachsen, und sie bedauerte, dass sie selbst keine Kinder hatte.
»Was soll ich nun machen, nachdem mein Mann mich so schnöde an die Luft gesetzt hat?«, fragte Gertrude, der dieses Thema ständig am Herzen lag.
Während Nizhoni die zwei Dollar in einer ihrer Taschen verstaute, dachte Gisela kurz nach. »Den Gesetzen der Vereinigten Staaten zufolge, die wohl auch in einem freien Texas gelten werden, könntest du eine neue Ehe eingehen.«
»Aber ich bin katholisch!«, rief Gertrude aus, obwohl sie diese Möglichkeit durchaus interessant fand.
»Soweit ich gehört habe, ist dein ehemaliger Mann zu den Protestanten übergetreten. Das ist eine Sünde, die es dir möglich macht, die Ehe annullieren zu lassen. Sprich doch mit Father Patrick darüber, wenn wir wieder zu Hause sind. Er wird dir gewiss helfen.«
In Gisela reifte schon seit geraumer Zeit eine Idee, was Gertrude betraf. Doch dafür musste Albert Poulain heil aus dem Krieg zurückkehren. Sie sagte jedoch nichts weiter, sondern fragte Anneliese, ob es Neues von Houstons Armee gäbe.
»Es heißt, er steht noch etwas westlich von uns und sammelt weitere Rekruten. Jetzt, da es ernst wird, kommen auch die Farmer von ihren Feldern«, antwortete die Pensionswirtin.
»Und was hört man von Santa Ana?«
»Der soll vor einer guten Woche San Antonio erreicht haben und Alamo belagern. Colonel Travis hält das Fort mit gut zweihundert Mann!« Anneliese klang bedrückt, denn bei Travis befand sich auch ihr Sohn Friedrich.
Gisela schlug das Kreuz und bat die Heilige Jungfrau, sowohl den jungen Belcher wie auch Walther und alle anderen aus dem French Settlement zu beschützen. Gleichzeitig fragte sie sich, wie lange Santa Anas Armee brauchen würde, um von San Antonio bis nach San Felipe de Austin zu gelangen, und kam auf eine elend geringe Anzahl von Tagen.
Auch Anneliese zeigte nun erstmals eine gewisse Unsicherheit. »Wir sollten alles vorbereiten, um rasch von hier fortzukommen«, meinte sie besorgt. »Oder wollt ihr Santa Ana das Frühstück auftischen?«
Es sollte ein Witz sein, doch Gisela fand ihn arg misslungen. Immerhin hatte sie schon vor etlichen Tagen darauf gedrängt, die Stadt zu verlassen. »Wie steht es mit dem Wagen?«, fragte sie Nizhoni.
Diese hob unschlüssig die Arme. »Ich weiß nicht. Er steht immer noch hinter dem Stall.«
»Wir brauchen einen Stellmacher, der die Deichsel so ändert, dass wir die beiden kleinen Stuten davorspannen können.« Gisela schalt sich selbst, weil sie noch nicht daran gedacht hatte. Doch mit fortschreitender Schwangerschaft war sie immer träger geworden.
»Könntest du dich darum kümmern?«, bat sie Nizhoni.
»Das kann ich übernehmen«, wandte Arlette ein. »Ich habe den Stellmacher bereits kennengelernt, und er wird mir diesen Gefallen gerne tun.«
Ein koketter Augenaufschlag begleitete diese Worte. Auch wenn sie ihrem Thomé im Großen und Ganzen treu blieb, so lag ihr letztes Zusammensein schon einige Monate zurück, und sie sehnte sich danach, wieder Weib sein zu können. Dafür schien der kräftige Stellmacher genau der Richtige zu sein.
Gisela, die nichts von Arlettes Gedanken ahnte, nickte erleichtert. »Mach das! Am besten gehst du gleich zu ihm. Wir anderen suchen unterdessen alles zusammen, was wir unbedingt mitnehmen müssen.«
Ihre eigenen Sachen hatte sie bereits so gepackt, dass sie sie mit wenigen Handgriffen bündeln und auf den Wagen laden konnte.
Im Gegensatz zu ihr hatte Anneliese noch keinerlei Vorbereitungen zur Flucht getroffen. »Wird alles auf den Wagen passen?«, fragte die Pensionswirtin ängstlich, denn sie wollte so wenig wie möglich zurücklassen.
»Wir nehmen das mit, was mit uns auf den Wagen passt«, antwortete Gisela mit einem feinen Lächeln.
Ihre Hauswirtin war sparsam, ja sogar geizig, und da würde es ihr schwerfallen, Dinge, die sie für teures Geld gekauft hatte, zurückzulassen. Aber es würde ihr nichts anderes übrigbleiben, falls ihr Mann sie nicht mit einem entsprechend großen Gefährt abholte. Darauf wollte Gisela jedoch nicht wetten.
4.
H ouston hatte der Armee einen Ruhetag verordnet, aber die Soldaten konnten ihn nicht genießen, weil die Offiziere und Unteroffiziere sie weiter drillten. Das passte nicht jedem. Gewohnt, bei ihren kleinen Dorfmilizen über jede Kleinigkeit abzustimmen, fiel es manchem schwer, sich an die Disziplin zu gewöhnen, die Houston
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