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Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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auch Ihrem Sohn zu geben!«
    Rosita wusste nicht, welcher Vorschlag ihr selbst besser gefiel.
    Walther sah seine Frau an, die wie ein Häuflein Elend auf ihrem Bett kauerte, dann seinen Sohn und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er wusste nicht, wo genau die Siedlung der Nordamerikaner lag und auch nicht, wie er nach seinem Zusammenprall mit Nicodemus Spencer und dessen Leuten dort empfangen werden würde. Selbst wenn es nicht gleich zu einer Konfrontation kam, erschien es ihm zweifelhaft, dass eine ihrer Frauen bereit wäre, sich seines Sohnes anzunehmen. Po’ha-bet’chys Komantschen hingegen lagerten etwa einen Tagesritt entfernt, und ihr Anführer wollte mit ihm Handel treiben.
    Diese Überlegung gab den Ausschlag. Rasch sammelte Walther ein paar Sachen zusammen, die den Indianern gefallen konnten, trat dann zu Gisela und strich ihr sanft über die Wange. »Ich werde jemanden finden, der unseren Sohn nährt. Das verspreche ich dir!«
    »Ich wünsche es mir so sehr!« Giselas Stimme war durch ihr Weinen kaum zu verstehen. Trotzdem schöpfte sie Hoffnung. Ihr Mann wollte eine Amme für ihren Sohn finden, und er hatte sie noch nie enttäuscht.

Zweiter Teil Nizhoni

1.
    D er Schmerz war schlimm, doch er ließ sich ertragen. Nizhoni begrüßte ihn sogar als Zeichen, dass ihr Kind ihren Leib verlassen wollte. Stöhnend lehnte sie sich gegen Per’na-pe’ta, die hinter ihr saß und sie festhielt.
    »Noch einmal pressen! Das Kind kommt bereits«, hörte sie To’sa-woonits Stimme. Sie gehorchte und hatte für Augenblicke das Gefühl, ihr Unterleib würde zerrissen. Dann war es vorbei. Die erfahrene alte Frau fing das Kind auf und nabelte es ab. Mit einem Mal stutzte sie und versetzte ihm einen Klaps auf den Hintern.
    »Es atmet nicht!«
    »Nein!« Nizhoni wollte sich aufsetzen und nach dem Kind greifen, doch Per’na-pe’ta hielt sie fest.
    »Meine Mutter weiß, was sie tun muss!«
    Während Nizhoni die Tränen in die Augen stiegen, versuchte To’sa-woonit, Luft in die Lungen des kleinen Jungen zu blasen. Nach einer Weile hörte sie auf, legte ihr Ohr auf die Brust des Neugeborenen und brummelte etwas vor sich hin, das Nizhoni nicht verstand.
    »Was ist mit ihm?«, fragte sie verzweifelt.
    »Das Herz schlägt, und er atmet jetzt auch, aber nur schwach. Mal sehen, ob er genug Kraft hat, um zu saugen.«
    To’sa-woonit empfand wenig Hoffnung für das Kind der Diné. Zwar hatte diese sich nach anfänglichem Sträuben den Regeln ihres Stammes unterworfen, doch das Kleine hatte sie schon in sich getragen, als sie von den Kriegern eines anderen Stammes gefangen genommen und für ein Pferd an ihre Sippe verkauft worden war. Die Diné sind Schwächlinge, dachte die alte Frau. Daher würde Nizhonis Kind nie ein echter Nemene werden. Dennoch wollte sie alles tun, um sein Leben zu erhalten. Der Kampf mit ihren Feinden forderte immer wieder Opfer, und da zählte jeder Knabe, der geboren wurde, doppelt.
    Unterdessen stand Per’na-pe’ta Nizhoni bei. Diese schied die Nachgeburt aus und aß dann ein wenig Salz und die bitteren Kräuter, welche To’sa-woonit bereitgestellt hatte. Schließlich entblößte die alte Frau Nizhonis Oberkörper und musterte ihre vollen Brüste, auf deren Spitzen bereits weiße Tropfen standen.
    »Vielleicht trinkt dein Sohn etwas«, sagte sie und reichte der Fremden das Kind.
    Nizhoni nahm den kleinen, warmen Körper mit einem Gefühl in Empfang, als wäre er die ganze Welt für sie. Doch in ihr lauerte die Angst, ihren Sohn wieder zu verlieren. Bitte trink!, flehte sie in Gedanken, während sie den Kleinen an ihre Brust legte. Doch anstatt an der Brustwarze zu saugen, lag das Kind nur still da. Die Verzweiflung der jungen Indianerin wuchs. Sie spritzte dem Jungen Milch in den Mund und flehte ihn an zu schlucken. Doch die Milch rann ihm aus dem Mundwinkel heraus, und er gab noch immer keinen Laut von sich.
    »Er wird sterben«, flüsterte To’sa-woonit ihrer Tochter zu. »Er hat nicht die Kraft der Nemene.«
    Damit war für sie alles gesagt, und sie begann, die Hütte aufzuräumen, die sie für die Geburt errichtet hatten, und trug die Nachgeburt ins Freie, um sie zu vergraben. Per’na-pe’ta blieb bei Nizhoni und hielt das Kind, während diese versuchte, es zu füttern. Obwohl sie dem Urteil ihrer Mutter vertraute, wünschte sie sich, dass diese wenigstens ein Mal unrecht hatte. Sie mochte die Diné und hatte Angst, Nizhoni würde den Tod ihres Sohnes nicht überstehen.

2.
    W alther ritt so

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