Der Zorn Des Skorpions
aufgeben.
Er schnürte seine Stiefel auf und schob sie in dem großen gefliesten Schmutzraum unter eine Bank. Darüber hingen seine Jacke und Thermohose und tropften. Er hätte gern gewusst, ob Clementine im Haus war, und diese erfreuliche Vorstellung ließ ihn lächeln.
Clementine DeGrazio, eine zierliche, hübsche Frau Anfang vierzig, die einen Ofen mit genauso viel Begeisterung blitzblank scheuerte, wie sie auf Wunsch vor Brady in die Knie ging, was er jedes Mal, seit er fünfundzwanzig war, verlangte, wenn er hierher zurückkam. Ihre ordnende Hand ist wirklich überall zu spüren, dachte er, als er auf Socken durch die Küche ging. Frisches Obst in einer Schale auf dem Tresen, drei Zeitungen säuberlich auf einem Tischchen in der Ecke bereitgelegt, Country-Musik aus verborgenen Lautsprechern, und als er den Kühlschrank öffnete, entdeckte er Platten mit Käse und Braten, Brotaufstriche und Dips und seine Lieblings-Nachos. Alles servierfertig bereitgestellt.
Er wusste, dass die Vorratsschränke mit allem, was er liebte, bestückt sein würden. Nur, weil er knapp acht Stunden zuvor angerufen hatte.
Clementine verlangte weiter nichts, als ihren Job behalten zu dürfen. Sie wurde nicht nur gut bezahlt, sondern konnte mit ihrem Sohn auch mietfrei in seinem Haus wohnen. Trotzdem verspürte er mit zunehmendem Alter leise Gewissensbisse, weil er so gern ihre eifrigen, wenn auch unterwürfigen sexuellen Dienste in Anspruch nahm.
Himmel, er wurde alt.
Dinge, die ihn nie gestört hatten, fingen an, sein Gewissen zu belasten. Sein alter Herr lag dem Tode nahe in einem Pflegeheim, seine Schwester saß weit entfernt in einer Anstalt, und Clementine mit ihren vollen Lippen und der flinken Zunge … Ach, zum Teufel. Er strich sich das Haar aus den Augen und stellte fest, dass er Maya und seine Weigerung, ihren Forderungen nachzugeben, außer Acht gelassen hatte. Vermutlich, weil sie sich genauso starrsinnig und hartherzig verhielt wie er.
»Eine im Himmel gestiftete Verbindung«, sagte er und schaltete das Licht ein. Dann ging er zum Thermostat im Eingangsflur, von wo eine frei schwebende Treppe zu den oberen Stockwerken führte. Die Eingangstür war von einer Bleiverglasung umrahmt. Während er die Heizung ein paar Grad niedriger drehte, wanderte sein Blick über den Steinboden der Eingangshalle zu einem riesigen Raum mit sechs Meter hoher Decke und einer Glaswand, die einen unglaublichen Ausblick auf den Wald und den Bach bot, der sich durch sein Land schlängelte. Auf der gegenüberliegenden Seite erhob sich ein Kamin aus Fluss-Steinen bis zu der Holzbohlendecke. Ledersessel, Polstersofas und Wandschmuck aus Metall, Errungenschaften seiner letzten Ex-Frau, füllten den weitläufigen Raum.
»Ein scheußliches Aquarium«, hatte sein Vater sich beschwert. Er zog das Arbeitszimmer am Ende eines geräumigen Flurs vor, in dem er inmitten der Köpfe und Felle von Tieren an den Kieferholzwänden, erlegt von Generationen von Jägern der Familie Long, seine Zigarren rauchen konnte.
Aus einem der Fenster blickte Brady die Zufahrt entlang, dorthin, wo er zwischen den Bäumen hindurch das Haus sehen konnte, das als Teil des ursprünglichen Gehöfts erbaut worden war. Tatsächlich, dort schimmerte Licht zwischen den Bäumen, und er nahm an, dass Santana sich entweder in dem Blockhaus oder in Stall, Scheune oder Schuppen aufhielt. Der Kerl war ein guter Arbeiter. Trotz all seiner Fehler.
Wie lautete noch der alte Spruch? Halte deine Freunde nahe bei dir, aber deine Feinde noch näher?
Brady konnte diesem Rat nur beipflichten. Voll und ganz. Er fragte sich, ob Santana das ahnte, und verwarf den Gedanken gleich wieder. Egal. Sie kannten einander seit ihrer Kindheit und hatten, beide harte Konkurrenten, Kopfnüsse und Fausthiebe ausgeteilt. Daraus entstand schon mal ein blaues Auge oder Nasenbluten, aber Brady hatte sich immer gefragt, was wohl in Santana vorgehen mochte. Der Mann kroch ihm nie in den Arsch, gab nie nach; begegnete ihm immer, wie es Brady schien, von oben herab. Doch Santana hatte einen ausgeprägten Pferdeverstand, kommunizierte mit Tieren auf eine Art, die Brady unbehaglich war und ihn gleichzeitig faszinierte. Das Ende vom Lied war, dass Santana nun für ihn arbeitete, hier, am Ende der Welt in Montana, und das war genau richtig so.
Brady trug seinen Laptop ins Arbeitszimmer seines Vaters und stellte ihn auf den Schreibtisch. Dann begab er sich zur Bar neben einem weiteren massiven Felssteinkamin und schenkte
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