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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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dazu war gar keine Zeit mehr, der Arm lag bereits auf dem Tische. Der amputierte Soldat, ein Rekrut, ein stämmiger Bauernjunge, wachte aus seiner Betäubung auf und sah, wie ein Lazarettgehilfe den Arm hinter die Goldregenbüsche wegtrug. Rasch sah er sich nach seiner Schulter um und fand sie durchschnitten und blutig. Da wurde er furchtbar wütend.
    »Herrgott nochmal! was für 'ne Dummheit habt Ihr da gemacht!«
    Bouroches Kräfte waren im Schwinden und er antwortete nicht. Dann meinte er in biederem Tone:
    »Das habe ich zu deinem Besten getan, mein Junge, ich wollte dich nicht abklappen lassen ... Übrigens habe ich dich gefragt und du hast eingewilligt.«
    »Ich hätte ja gesagt! Ich hätte ja gesagt! Konnte ich denn das wissen?«
    Sein Zorn verrauchte und er weinte heiße Tränen.
    »Was soll ich denn nun jetzt anfangen?«
    Er wurde wieder auf das Stroh gebracht und das Wachstuch und der Tisch heftig abgewaschen; und das rote Wasser,das aus den Eimern im Bogen über den ganzen Rasen weggegossen wurde, färbte das weiße Margueritenbeet blutig rot.
    Aber nun war Delaherche ganz erstaunt, daß er immer noch die Geschütze hören konnte. Weshalb schwiegen sie denn nicht? Rosas Tischtuch mußte doch jetzt auf der Zitadelle gehißt sein. Man hätte aber im Gegenteil eher glauben können, die preußischen Batterien vermehrten ihre Kräfte. Es war ein Lärm, daß man nichts mehr verstehen konnte; die Erschütterung brachte selbst die wenigst Nervösen vom Kopf zu Fuß vor wachsender Angst ins Zittern. Das konnte für die Operateure und die Operierten nicht gut sein, diese Erschütterungen, die ihnen das Herz mürbe machten. Das ganze Lazarett befand sich vor fieberhaft verzweifelter Erregung auf den Kopf gestellt.
    »Es war doch vorbei, was brauchen sie denn wieder anzufangen?« rief Delaherche und lauschte ängstlich, denn jede Sekunde glaubte er jetzt den letzten Schuß zu hören.
    Als er nun wieder zu Bouroche ging, um ihn an den Hauptmann zu erinnern, fand er ihn zu seiner Überraschung auf einem Strohbündel platt auf dem Bauche liegend hingestreckt und beide Arme bis an die Schultern in ein paar Eimern eisig kaltem Wasser steckend. Der Stabsarzt war mit seinen seelischen und körperlichen Kräften am Ende; von einer tiefen Traurigkeit, einer ungeheuren Trostlosigkeit niedergestreckt, gab er nach und machte eine jener todtraurigen Minuten durch, wie sie der erfahrene Fachmann stets empfindet, wenn er sich ohnmächtig fühlt. Dabei war er noch ein kräftiger Mensch mit dickem Fell und starkem Herzen. Aber das: »Wozu noch?« hatte auch ihn gestreift. Das Gefühl, daß er nie fertig werden könne, daß er unmöglich allesmachen könne, lähmte ihn mit einem Male. Wozu noch? Der Tod würde doch der Stärkere bleiben.
    Zwei Lazarettgehilfen brachten Hauptmann Beaudouin auf einer Bahre heran.
    »Herr Stabsarzt, hier ist der Hauptmann«, wagte Delaherche ihn anzureden.
    Bouroche schlug die Augen auf, zog die Arme wieder aus den Eimern, schüttelte sie und trocknete sie im Stroh ab. Dann hob er sich auf die Knie:
    »Ach ja! Futsch! Wieder einer ... Na ja, unser Tagewerk ist noch nicht zu Ende.«
    Und erfrischt stand er wieder auf und schüttelte seine gelbe Löwenmähne; Übung und das Gebot der Notwendigkeit brachten ihn wieder auf die Beine.
    Gilberte und Frau Delaherche waren hinter der Bahre hergegangen; als der Hauptmann jetzt auf die wieder mit Wachstuch bedeckte Matratze gelegt wurde, blieben sie in ein paar Schritt Entfernung stehen.
    »Schön, über dem rechten Enkel sitzt es,« sagte Bouroche, der viel sprach, um die Patienten abzulenken. »Die Stelle ist nicht bösartig. Da kommen wir gut darüber weg ... Wollen mal nachsehen.«
    Aber Beaudouins Empfindungslosigkeit machte ihm offensichtlich Sorge. Er sah auf den Notverband, einfach eine über der Hose zusammengeknotete und mit Hilfe einer Bajonettscheide festgehaltene Binde. Aber er brummte allerlei zwischen den Zähnen und hätte gern gewußt, welcher Drecklümmel das gemacht hätte. Dann wurde er plötzlich still. Er sah offenbar ein: sicher hatte unterwegs in dem mit Verwundeten vollgestopften Landauer die Binde sich lockern und verrutschen können, so daß sie die Wunde nicht mehr zusammenpreßte,und das hatte eine so heftige Blutung hervorgerufen.
    Einen der helfenden Lazarettgehilfen fuhr Bouroche wütend an:
    »Eingesalzener Schafskopf, schneiden Sie doch zu!«
    Der Pfleger schnitt rasch Hose und Unterhose auf, dann den Strumpf und den Schuh. Der

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