Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
noch nicht einmal vorstellen, hier überwintern zu müssen. Es gibt keinen Grund für euch, hier zu bleiben, gar keinen. Doch es spricht alles dafür, mit mir nach Bocksburg zu kommen. Warum sollte jemand hier bleiben wollen? Ich weiß, dass ihr zu eurer alten >Schule< zurückkehren wollt, aber deshalb könnt ihr doch zunächst mit mir nach Bocksburg kommen. Dort kannst du dich erst einmal erholen und dir dann ein Schiff nach Süden suchen.«
Der Narr blickte auf seine langen Hände, die er in den Schoß gelegt hatte. »Ich habe ausführlich mit Prilkop darüber gesprochen. Wir wissen so wenig über eine Situation wie diese, über ein Leben jenseits unserer Zeit als Weiße Propheten. Er hat jedoch schon länger Erfahrung damit wie ich. Er ist unter anderem hier geblieben, weil dies der letzte Ort war, an dem er sich selbst in einer Vision gesehen hat. Er ist in der Hoffnung hier geblieben, dass seine letzte Vision von einem anderen Weißen Propheten und einem anderen Katalysten, die seine Aufgabe zu Ende führen, sich bewahrheiten würde. Und das hat sie. Seine letzte Vision hat sich erfüllt.« Er blickte ins Feuer und beugte sich dann vor, um ein Stück Treibholz tiefer in die Flammen zu schieben. »Auch ich hatte eine letzte Vision - eine Vision von dem, was nach meinem Tod sein würde.«
Ich wartete.
»Ich habe dich gesehen, Fitz. Ich habe dich inmitten dessen gesehen, was du gerade wirst. Zwar hatte ich nicht den Eindruck, dass du ständig glücklich warst, aber du wirktest weit vollständiger als zuvor.«
»Was hat denn das damit zu tun?«
»Es hat mit dem tun, was ich
nicht
gesehen habe. Natürlich habe ich sterben müssen. Ich habe deutlich gesehen, dass mein Tod Teil deiner Zukunft war. Nein, das klingt zu grausam, als hättest du meinen Tod geplant. Sagen wir lieber: Mein Tod war ein Markstein auf deinem Lebensweg. Du hattest meinen Tod überlebt und bist auf diesem Weg weitergegangen.«
»Und ich habe deinen Tod überlebt. Aber wie du mir so oft gesagt hast, bin ich ein Katalyst. Ich habe dich wieder zurückgeholt.«
»Ja, das hast du. So etwas habe ich nie vorhergesehen. Und auch Prilkop nicht. In all den Schriften, die wir während unserer Ausbildungszeit studiert und auswendig gelernt haben, ist so etwas nie auch nur angedeutet worden.« Er lächelte. »Ich hätte allerdings vorhersehen müssen, dass nur du eine solche Veränderung herbeiführen kannst: eine Veränderung, die uns weit jenseits jeder Zukunft führt, welche die Weißen Propheten vorhergesehen haben.«
»Aber...«, begann ich, und der Narr hob den Finger, um mich zum Schweigen zu bringen.
»Prilkop und ich haben darüber diskutiert. Wir glauben beide, dass ich es nicht riskieren sollte, zu viel in deiner Nähe zu sein. Ich könnte einen ernsten Fehler begehen. Wenn ich nicht mit dir zurückkehre, ist die Chance für solch einen Fehler natürlich geringer.«
»Ich verstehe nicht. Ein Fehler? Was für ein Fehler? Du hast noch immer Fieber, und was du sagst, ergibt keinen Sinn.« Ich war besorgt und verärgert zugleich. Wütend rutschte ich auf meinem Kissen herum. Der Narr legte mir die Hand auf den Arm. Seine Berührung war fast kühl. Er war noch immer von der Verwandlung geschwächt, sprach aber sicher nicht im Fieber, und seine Stimme hatte einen strengen Unterton, als wäre er ein alter Mann und ich ein trotziges Kind.
»Doch, das tust du. Du verstehst, was ich meine. Du willst es nur nicht sehen, aber du weißt es. Du bist noch immer der Wandler, noch immer der Katalyst. Selbst in der kurzen Zeit, die du in Bocksburg gewesen bist, hast du das bewiesen. Die Veränderungen wirbeln um dich herum wie in einem Strudel, und wiederhergestellt scheinst du nicht länger vor ihnen zu fliehen, sondern sie vielmehr anzuziehen. Und ich, ich bin nun blind, wenn es darum geht zu sehen, welche gewaltigen Veränderungen mein Einfluss auf dich bewirken könnte. Also ...« Er schwieg kurz. Ich wartete. »Ich werde nicht mit dir kommen. Nein, warte, sag nichts. Lass erst mich reden.«
Doch anstatt zu reden, fiel er sofort in Schweigen. Ich saß einfach nur da, schaute ihn an und dachte darüber nach, wie sehr er sich verändert hatte. Der blasse mondgesichtige Junge, der schlanke Jüngling, war nun deutlich erkennbar zu einem jungen Mann geworden. Die Entbehrungen der jüngsten Vergangenheit betonten seine Gesichtszüge, und die Schwellungen um seine Augen waren noch nicht ganz abgeklungen. Aber das war nur sein Leib. Sein Blick hatte sich
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