Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
Mann mit haselnussbraunen Augen schaute mich mitleidig an.
»Das kannst du mir nicht antun«, sagte ich.
»Es ist schon getan«, erwiderte er. »Es ist getan.« Seine Stärke schien ihn mit jedem Wort mehr zu verlassen. Er wandte den Kopf von mir ab, als könne er sein Weinen so vor mir verbergen. Ich saß einfach nur da und fühlte mich wie betäubt nach einer furchtbaren Verletzung.
»Ich bin einfach nur müde«, sagte er mit leiser, zitternder Stimme. »Einfach nur müde. Das ist alles. Ich glaube, ich werde mich wieder hinlegen.«
Fitz. Die Königin will dich sprechen.
Dick drang mühelos in meinen Geist.
Gleich. Ich bin im Augenblick beim Narren.
Es geht um das Alte Blut. Sie sagt: >Schnell<. Bitte.
Gleich
, erwiderte ich betrübt.
Und kaum war Dick aus meinem Geist verschwunden, da tippte mir Chade auf die Schulter. Ich hörte ihm zu.
Wenn du schon einmal da bist, denk daran, wenigstens ein paar der Gabenschriften mitzubringen. Ich glaube, wir werden sie noch brauchen können.
Chade. Das werde ich. Bitte. Ich brauche nur ein wenig Zeitfiir mich. Bitte.
Na schön
, erwiderte er säuerlich. Dann fragte er in sanfterem Ton:
Wo liegt das Problem ? Ist er wirklich so krank ?
Tatsächlich scheint sich sein Zustand sogar gebessert zu haben, aber ich brauche dennoch ein wenig Zeit fiir mich allein.
Na schön.
Ich drehte mich wieder zu dem Narren um, doch der war entweder wirklich eingeschlafen, oder aber er täuschte es derart überzeugend vor, dass ich es nicht über mich brachte, ihn zu wecken. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken. Ich glaubte, dass es einen Weg geben müsste, ihn umzustimmen, wenn er mir denn nur einfallen würde.
»Ich werde wieder zurückkehren«, sagte ich zum Narren, zog dann meinen Mantel an und ging hinaus. Ich beschloss, einen Abstecher durch das Labyrinth der Uralten zu machen, um eine Hand voll Gabenschriften zu holen. So hatte ich während des Nachdenkens wenigstens etwas zu tun. Ich hatte noch nie sonderlich gut im Sitzen nachdenken können. Ich stieg den steilen Pfad hinauf und stellte fest, dass der Spalt nicht mehr ganz so eng war. Mein Kommen und Gehen hatte ihn offenbar breiter gemacht, dachte ich bei mir. Doch ich war noch nicht weit im fahlen Licht der Kugeln gegangen, als mir jemand entgegenkam. Kurz erschrak ich, bevor ich den Schwarzen Mann erkannte. Er hatte sich ein Stück Räucherfleisch über die Schulter geworfen, und als er sich mir näherte, nickte er mir zu und legte es vorsichtig auf den Boden.
»Ich habe viele Male von ihren Vorräten gestohlen, aber nie so etwas. Ein wenig hier, ein wenig dort. Jetzt nehme ich mir einfach, was ich brauche.« Er neigte den Kopf zur Seite. »Und was machst du hier?«
»Ungefähr das Gleiche. Vor einigen Jahren hat man meinem König Schriftrollen gestohlen, ganz besondere Schriftrollen. Sie hat sie jetzt hier in einem Raum nicht weit von ihrem Schlafgemach. Ich soll sie wieder nach Hause bringen.«
»Ah, die. Die habe ich vor langer Zeit einmal gesehen.«
»Ja.«
»Ich werde dir helfen.«
Ich war nicht sicher, ob ich Hilfe wollte, aber mir fiel nichts ein, wie ich ihm das auf höfliche Art hätte verweigern können. Also nickte ich ihm dankbar zu, und gemeinsam gingen wir los. Prilkop schüttelte den Kopf ob der Entweihung der Reliefs und der fehlenden Kunstwerke in den Nischen. Er erzählte mir von den einstigen Bewohnern. Dick hatte Recht gehabt. Früher war es in den Steingängen warm gewesen. Die Uralten waren hierher gekommen und wieder gegangen, um die Wunder des Eises zu genießen, die in ihren wärmeren Gefilden unbekannt waren. Ich versuchte mir vorzustellen, wie man solch einem kalten Ort etwas Schönes abgewinnen konnte, doch der Gedanke war mir vollkommen fremd.
Prilkop hatte irgendwie die Magie versiegen lassen, die dem Stein seine Wärme verliehen hatte. Auch hatte er versucht, der Bleichen Frau das Licht der Uralten zu nehmen, doch damit war er gescheitert. Aber auch ohne Wärme war sie geblieben. Sie hatte Prilkop in den Untergrund getrieben und ihre Verachtung für ihn und die Uralten dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie ihre Kunstwerke zerstören ließ.
»Aber den Kartenraum hat sie in Ruhe gelassen«, sagte ich zu ihm.
»Vielleicht wusste sie nichts von ihm. Oder vielleicht kümmerte er sie nicht, weil sie seinen Nutzen nicht kannte. Von Reiseportalen wusste sie jedenfalls nichts. Ich habe nur ein einziges Mal eines benutzt, um vor ihr zu fliehen.« In der Erinnerung daran schüttelte er den Kopf.
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