Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 04 - Der wahre Drache
kam, war ein Schrei des Hasses. Mit dieser Kraft spannte er den Bogen, bis ich glaubte, das Holz würde brechen. Ruhig und standfest wie ein Fels wurde er eins mit seinem Pfeil und blickte dem Drachen in die Augen.
Dann ließ er den Pfeil fliegen.
So wahr und echt wie die Liebe eines Vaters flog das schimmernde graue Geschoss. Es traf den Drachen ins Auge und verschwand fast darin. Ich sah, wie Raubart eine Vorderpfote danach hob. Dann blieb er abrupt stehen, als würde er auf etwas lauschen. Ich war mir der Gabe der Bleichen Frau bewusst, die sie auf ihn richtete. Außer sich befahl sie ihm, es zu Ende zu bringen, den Schützen und das Drachenweib zu töten. Dann könne er tun, was auch immer er tun wolle. Ich dachte, Raubart wäre stehen geblieben, um ihr zuzuhören, doch er setzte sich nicht mehr in Bewegung. Die gelbbraune Farbe, die seiner Haut Leben verlieh, verschwand und wich einer steinernen Patina. Er blieb, wie er war, die Flügel halb erhoben, eine Klaue am Schaft des Pfeils, das Maul weit aufgerissen. Ungläubiges Schweigen senkte sich über die Szenerie. Der Steindrache war tot.
Einen Augenblick später erwachte das Mädchen in meinen Armen zum Leben. Plötzlich konnte ich sie wieder mit der Alten Macht wahrnehmen. Sie hatte im selben Augenblick aufgehört, sich zu wehren, als der Drache gestorben war. Nun rollte sie sich in meinen Armen zusammen. »Mir ist so kalt, und ich habe Hunger«, jammerte sie, und dann, während ich sie erstaunt anblickte, brach sie in kindliche Tränen aus.
»Einen Moment«, sagte ich, »einen Moment.« Und ich hasste mich dafür, dass ich sie mit ihren kleinen nackten Füßen in den Schnee stellen musste. Ich nahm Chades Mantel vom Rücken und legte ihn ihr um die Schultern. Er reichte ihr bis zu den Zehen. Dann hob ich sie wieder hoch, und sie zog sich zu einem zitternden Ball in meinen Armen zusammen. »Gib sie mir! Gib sie mir!«, verlangte Peottre. Die Tränen rannen ihm übers Gesicht und hinterließen Streifen im Blut.
»Oh, mein kleiner Fisch, meine Kossi! Elliania, schau! Schau! Unsere Kossi ist wieder zu uns zurückgekehrt. Sie ist wieder sie selbst!« Der alte Krieger drehte sich zu seiner Nichte um, und dann, als hätte die Freude ihm die Kraft geraubt, sank er auf die Knie, drückte das Kind an seine Brust und flüsterte ihm tröstend zu.
Elliania blickte zu uns herüber, das Herz in den Augen, und schaute dann auf die Frau im Schnee zu ihren Füßen. Sie kniete sich neben sie, und auch ihr kamen die Tränen, als sie sagte: »Wir haben eine von ihnen gerettet. Wenigstens haben wir eine gerettet. Mutter, ich habe mein Bestes getan. Wir haben uns so sehr bemüht.«
Pflichtgetreu kniete ihr gegenüber und schaute sie an. Sanft, ganz sanft, wischte er der ausgemergelten Frau das Haar aus dem Gesicht. »Nein«, sagte er, »ihr habt beide gerettet. Sie ist nur bewusstlos, Elliania, aber sie ist auch wieder zu uns zurückgekehrt. Ich fühle sie mit meiner Alten Macht. Deine Mutter ist auch wieder zu dir zurückgekehrt.«
»Aber ... woher weißt du das?« Elliania starrte in das Gesicht der Bewusstlosen; noch wagte sie nicht zu hoffen.
Pflichtgetreu lächelte sie an. »Ich verspreche dir, dass ich es weiß. Das ist eine alte Weitsehermagie, eine Gabe, die ich von meinem Vater geerbt habe.« Er beugte sich vor, um die schlaffe Frau aufzuheben. »Lass sie uns in eine warme Unterkunft bringen. Und sie braucht auch was zu essen. Die Schlacht scheint erst einmal vorüber zu sein.«
Chade bestätigte mir, dass der Kampf tatsächlich vorbei war. Unter uns im Lager hatten alle im selben Augenblick aufgehört zu kämpfen, da der Drache gestorben war. Es sei, so sagte er mir über die Gabe, als hätten unsere Feinde plötzlich den Mut verloren.
Nein, sie haben ihn wieder zurückgewonnen. Es ist schwer zu erklären, Chade, aber ich fiihle es mit der Alten Macht. Ihre Diener waren teilweise gewandelt, doch mit dem Tod des Drachen haben sie all das wieder zurückerhalten, was sie ihnen geraubt hat. Das Gleiche ist mit Mutter und Schwester der Narcheska geschehen. Sie sind nicht länger gewandelt. Lass die Outislander mit denen reden, gegen die wir gekämpft haben. Bietet ihnen unsere Gastfreundschaft an - und Trost. Sie dürften arg verwirrt sein.
Ich gestattete mir, den Blick über das Schlachtfeld unten schweifen zu lassen, und ich sah die Wahrheit meiner Gedanken. Die Soldaten der Bleichen Frau hatten allesamt die Waffen fallen gelassen. Ein Mann stand, die Hände auf
Weitere Kostenlose Bücher