Die Abenteuer des Röde Orm
sie zu tun hatten, sollte nun während des neuen Vollmondes vor sich gehen; an diesem Abend stand der Steinblock einzig den Virden zu, und den Göingern und Finnveden war wohl bekannt, wie sehr jene dem Fremden gram wurden, der zu erspähen versuchte, was ihre Frauen dort trieben. Denn mehr als einmal war es geschehen, daß ein daherfliegender Speer oder ein geschwungenes Schwert das letzte wurde, was solch ein Neugieriger in seinem Leben sah, und das, bevor er noch Zeit gehabt hatte, mehr zu sehen. Aber neugierige junge Göinger und auch Finnveder, die noch nicht schwer betrunken waren, erwarteten mit Zuversicht, was sich ihren Augen nun bieten würde. Sobald der Mond über den Waldrand stieg, kletterten einige auf Bäume, von wo die Aussicht gut war, während andere durch Gestrüpp und Büsche so nahe an den Stein herankrochen, als ihr Mut es zuließ.
Vater Willibald mißfiel das alles sehr. Am unzufriedensten war er mit den jungen Leuten in Orms Gefolgschaft, die auf dem großen Fest die Taufe empfangen und nachher auch wohl seine Kirche besucht hatten; diese zeigten jetzt nicht geringere Begier als die anderen, vom Hexenspuk, der am Stein vor sich ging, soviel als möglich zu erspähen. »Das alles ist Teufelswerk«, sagte er, »und ich habe sagen hören, daß diese Frauen den Brauch haben, in schamloser Nacktheit um den Stein zu laufen. Jeder Getaufte sollte sich angesichts solcher Gottlosigkeit mit Christi Kraft stärken. Ihr tätet besser, mitzuhelfen, ein Kreuz zu zimmern, das hier vor dem Feuer errichtet werden könnte, um uns vor den Teufeleien dieser Nacht zu schützen. Ich selbst bin zu alt dazu, und hier unter den Bäumen sehe ich zu schlecht.«
Aber er bekam zur Antwort, daß alle Kreuze und alles Taufwasser der Welt die Männer nicht hindern würden, danach auszuschauen, was die Frauen der Virden am Stein trieben.
Magister Rainald kauerte neben Orm im Kreise derer, die rings um den Kochkessel saßen. Er hielt den Kopf gesenkt und wiegte sich hin und her; wie die anderen hatte er Brot und geräuchertes Schaffleisch erhalten, aber er zeigte nur geringe Eßlust wie immer, wenn er an seine Sünden dachte. Aber als er Vater Willibalds Worte hörte, erhob er sich. »Gebt mir eine Axt«, sagte er, »dann werde ich ein Kreuz zimmern.«
Die Männer im Kreise lachten und wollten nicht recht glauben, daß er das könnte. Orm sagte: »Du tust recht, daß du’s versuchen willst, und es mag dir nützlicher sein, als auf Bäume zu klettern.«
Der Magister bekam eine Axt und ging, um geeignetes Holz zu suchen.
Leichte Wolken zogen vor dem Mond hin, so daß es zeitweise dunkel war, aber zwischendurch konnten die Neugierigen doch etwas von dem sehen, was bei den Virden am Stein vorging. Dort hatten sich viele Männer eingefunden. Einige schnitten eine lange und breite Grasscholle aus dem Boden, hoben sie hoch und stützten sie durch Stangen. Andere trugen Reisig zusammen und schichteten es zu vier Haufen um den Stein. Als das getan war, nahmen alle ihre Waffen und gingen ein Stück weit auf die Göinger und Finnveder zu, dort blieben sie stehen, die Rücken dem Stein zugewandt, um Wacht zu halten, und einige gingen vor bis zum Bach. Nun hörte man es meckern, und vier alte Weiber kamen mit zwei Böcken vom Lager der Virden her; mit ihnen ein kahlköpfiger kleiner Greis mit weißem Bart; er war sehr alt und gebeugt und hatte ein langes Messer in der Hand. Eine Schar in Mäntel gehüllter Frauen folgte ihm.
Als sie beim Stein waren, wurden den Böcken die Beine zusammengebunden und an ihren Hinterbeinen lange Stricke befestigt. Dann halfen alle mit, sie von entgegengesetzten Seiten her auf den Stein zu ziehen und die Stricke gut festzumachen, so daß die Böcke kopfab herabhingen, jeder an einer Seite des Steines. Das alte Männchen fuchtelte mit den Armen und schrie, bis die Böcke so gelegt waren, wie er es wünschte. Als er endlich zufriedengestellt war, wurde er selbst mit großer Mühe auf den Stein hinauf gehoben; dort gab man ihm sein Messer in die Hand, und er setzte sich rittlings zwischen die Böcke.
Dann hob er die Arme hoch und rief mir schallender Stimme den jungen Frauen zu: »Dies ist das erste Stück: geht durch Erde!«
Unter den Frauen erhob sich nun Gegacker und Geschnatter, sie knufften und pufften einander, aber zauderten noch. Endlich ließen sie ihre Mäntel fallen und standen nackt da; und in langer Reihe gingen sie zur grasbewachsenen hochgestellten Erdscholle und krochen eine nach der
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