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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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beobachtete, sondern umgekehrt die Fliege, die auf dem Brotkrumen saß.
    Buchstäblich war alles, was er sah, auffällig. Die Bilder kamen einem nicht natürlich vor, sondern so, als seien sie extra für einen gemacht worden. Sie dienten zu etwas. Wenn man sie ansah, sprangen sie einem buchstäblich in die Augen. ›Wie Rufzeichen‹, dachte Bloch. Wie Befehle! Wenn er die Augen zumachte und nach einiger Zeit wieder hinschaute, kam einem buchstäblich alles verändert vor. Die Ausschnitte, die man sah, schienen an den Rändern zu flimmern und zu zittern.
    Aus dem Sitzen war Bloch, ohne richtig aufzustehen, gleich weggegangen. Nach einiger Zeit blieb er stehen, fiel dann aus dem Stand sofort ins Laufen. Er trat schnell an, stoppte plötzlich ab, wechselte die Richtung, lief gleichmäßig, wechselte jetzt den Schritt, wechselte wieder den Schritt, stoppte, lief jetzt rückwärts, drehte sich im Rückwärtslauf um, lief vorwärts weiter, drehte sich wieder in den Rückwärtslauf um, ging rückwärts, drehte sich in den Vorwärtslauf um, wechselte nach einigen Schritten in den vollen Schnelllauf über, stoppte scharf, setzte sich auf einen Randstein und lief sofort aus dem Sitzen weiter.
    Als er dann stehenblieb und wieder weiter ging, schienen sich die Bilder von den Rändern her einzutrüben; schließlich waren sie bis auf einen Kreis in der Mitte eingeschwärzt. ›Wie wenn jemand im Film durch ein Fernrohr schaut‹, dachte er. Er wischte sich den Schweiß an den Beinen mit der Hose ab. Er ging an einem Keller vorbei, in dem die Teeblätter, weil die Tür zum Keller halb offenstand, eigenartig schimmerten. ›Wie Kartoffeln‹, dachte Bloch.
    Selbstverständlich, das Haus vor ihm war einstöckig, die Fensterläden waren festgehakt, auf den Dachziegeln lag Moos (auch so ein Wort!), die Tür war geschlossen, darüber stand: Volksschule , hinten im Garten hackte jemand Holz, es mußte der Schuldiener sein, richtig, und vor der Schule stand natürlich ein lebender Zaun, ja, es stimmte, es fehlte nichts, nicht einmal der Schwamm unter der Tafel drinnen im finsteren Schulzimmer und die Schachtel mit den Kreidestücken daneben, nicht einmal die Halbkreise draußen an den Mauern unter den Fenstern, zu denen es eine Zeichenerklärung gab, die bestätigte, daß es sich um Fensterhakenschrammen handelte; es war überhaupt, als bekäme man von allem, was man sah oder hörte, bestätigt, daß es aufs Wort stimmte.
    Der Deckel der Kohlenkiste im Schulzimmer war aufgeklappt, in der Kiste konnte man (ein Aprilscherz!) den Stiel der Kohlenschaufel sehen, dazu den Fußboden mit den breiten Brettern, der in den Ritzen vom Aufwaschen noch feucht war, nicht zu vergessen die Landkarte an der Wand, das Waschbecken neben der Tafel und die Maisblätter auf dem Fensterbrett: eine einzige schlechte Nachahmung! Auf diese Aprilscherze würde er nicht hereinfallen.
    Es war, als ob er immer weitere Kreise zog. Er hatte den Blitzableiter neben der Tür vergessen, und jetzt kam er ihm wie ein Stichwort vor. Er sollte anfangen. Er half sich, indem er an der Schule vorbei hinten in den Hof ging und mit dem Schuldiener in der Holzhütte redete. Holzhütte, Schuldiener, Hof: Stichworte. Er schaute zu, wie der Schuldiener ein Holzscheit auf den Hackklotz stellte, wie er mit der Axt ausholte. Er redete vom Hof aus dazwischen, der Schuldiener hielt inne, antwortete, und als er dann auf das Scheit schlug, fiel es zur Seite, bevor er es getroffen hatte, und er schlug in den Hackklotz hinein, daß es staubte. Der noch nicht zerkleinerte Holzstoß im Hintergrund brach zusammen. Wieder so ein Stichwort! Aber es folgte nicht mehr darauf, als daß er den Schuldiener in die halbdunkle Holzhütte hinein fragte, ob es denn für alle Schulklassen nur dieses eine Schulzimmer gebe, und daß der Schuldiener antwortete, für alle Schulklassen gebe es nur dieses eine Schulzimmer.
    Kein Wunder, daß die Kinder beim Schulaustritt noch nicht einmal reden gelernt hätten, sagte der Schuldiener plötzlich, indem er das Beil in den Hackklotz schlug und aus der Hütte trat: nicht einmal einen einzigen eigenen Satz könnten sie zu Ende sprechen, sie redeten miteinander fast nur in einzelnen Wörtern, ungefragt überhaupt nicht, und was sie lernten, sei nur Merkstoff, den sie auswendig heruntersagten; darüber hinaus seien sie zu ganzen Sätzen unfähig. »Eigentlich sind alle mehr oder weniger sprechbehindert«, sagte der Schuldiener.
    Was sollte das heißen? Was bezweckte der

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