Die Augen der Überwelt
hinunter.
Beklommenheit breitete sich unter den Pilgern aus, und einer musterte heimlich den andern. Sie murmelten, und schließlich wurde ein Durcheinander aus Beteuerungen und Behauptungen daraus. Schließlich hob Casmyres Stimme sich schrill über alle anderen: »Es kann nicht ich sein, der der Böseste ist. Ich bemühte mich immer um Güte und Mäßigkeit, und während des Glücksspiels enthielt ich mich, einen unfeinen Vorteil zu nutzen.«
Ein anderer rief: »Meine Tugend ist größer, da ich lediglich Hülsenfrüchte esse, um nur ja keinem lebenden Wesen zu schaden.«
»Und ich bin noch tugendsamer«, rief ein dritter, »denn ich ernähre mich bloß von den Schoten der Hülsenfrüchte und von Rinde, die von den Bäumen gefallen ist, um auch kein pflanzliches Leben zu zerstören.«
»Mein Magen verträgt keine pflanzlichen Stoffe, trotzdem richte ich mich nach den gleichen hehren Grundsätzen. Nur Aas kommt über meine Lippen«, versicherte ein vierter.
Ein fünfter rief: »Ich schwamm einmal durch einen Feuersee, um eine alte Frau zu beruhigen und ihr zu sagen, daß ein schreckliches Ereignis, vor dem sie sich fürchtete, vermutlich nicht eintreffen würde.«
Cugel behauptete: »Mein Leben ist ständige Demut. Unentwegt bin ich um Gerechtigkeit und Gleichheit bemüht, obwohl es mir nie gelohnt wird.«
Nicht weniger fest sagte Voynod: »Gewiß, ich bin ein Zauberer, doch benutze ich mein Können nur zum Wohl der Allgemeinheit.«
Nun war Garstang an der Reihe. »Meine Tugend ist wesentlicher Art, denn sie ergibt sich aus der Erfahrung von Äonen. Wie kann ich anders denn tugendhaft sein? Ich bin gefeit gegen die Anfechtungen geringer Beweggründe.«
Schließlich hatten alle ihre Tugenden hervorgehoben außer Lodermulch, der sich mit einem säuerlichen Lächeln abseits hielt. Voynod deutete auf ihn. »Sprecht, Lodermulch. Beweist Eure Tugend oder seid gewärtig, für den Bösesten gehalten zu werden, was den Verlust Eures Lebens zur Folge haben würde.«
Lodermulch lachte grimmig. Er drehte sich um und sprang mit einem gewaltigen Satz auf eine Querverbindung des Wehres, kletterte von dort auf die Pflockreihe, zog sein Schwert und bedrohte den hageren Mann. »Wir sind allesamt schlechte Menschen – Ihr genauso wie wir, sonst würdet Ihr uns nicht zu dieser ungewöhnlichen Gebühr zwingen. Öffnet die Kette oder stellt Euch meinem Schwert!«
Der Mann warf die Arme hoch. »Meine Bedingung ist erfüllt. Ihr, Lodermulch, habt Eure Tugend bewiesen. Das Floß darf durchfahren. Und Euch, der Ihr Euer Schwert zur Verteidigung der Ehre benutzt, schenke ich diese Salbe. Wenn Ihr damit Eure Klinge bestreicht, wird sie Stahl und Stein so leicht wie Butter durchschneiden. Fahrt nun dahin, und mögen alle Gewinn aus den Läuterungsritualen ziehen!«
Lodermulch dankte für die Salbe und kehrte auf das Floß zurück. Der Hagere hob die Kette, und das Floß trieb ungehindert an dem Wehr vorbei.
Garstang trat zu Lodermulch, um ihm seine gemessene Billigung für sein Verhalten auszudrücken, doch warnte er zur Bedachtsamkeit. »In diesem Fall gereichte eine unüberlegte, ja fast unbotmäßige Handlung zum allgemeinen Wohl. Doch falls in Zukunft ähnliche Umstände auftreten, ist es angezeigt, daß Ihr Euch von erwiesenermaßen weisen Männern beraten laßt: von mir, Casmyre, Voynod oder Subucule.«
Lodermulch antwortete gleichmütig: »Wie Ihr wollt, solange die Verzögerung mir keine Ungelegenheiten bereitet.« Damit mußte sich Garstang zufriedengeben.
Die anderen Pilger bedachten Lodermulch mit unwilligen Blicken und zogen sich von ihm zurück, so daß er schließlich allein auf dem vorderen Teil des Floßes saß.
Der Nachmittag kam, dann der Sonnenuntergang, der Abend und die Nacht. Als der neue Morgen graute, war Lodermulch verschwunden.
Alle wunderten sich. Garstang horchte sich um, doch niemand konnte Licht ins Dunkel bringen. Es kam auch zu keiner Einigkeit über den Grund, der zu dem Verschwinden geführt haben mochte.
Merkwürdigerweise brachte selbst die Abwesenheit des unbeliebten Lodermulch die ursprünglich gute Stimmung und die freundliche Verbundenheit der Gruppe nicht zurück. Die Pilger saßen stumm herum, starrten düster vor sich hin, hatten keine Lust mehr zu irgendwelchen Spielen oder Streitgesprächen, und selbst Garstangs Verkündung, daß Erze Damath in bereits einem Tag erreicht würde, löste keine sonderliche Freude aus.
Erze Damath
Am letzten Abend auf dem Floß lebte doch
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