Die Ausgelieferten
damals möglich, die Ereignisse in Schweden als kleines Steinchen in einem großen Spiel zu sehen?
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Als der Transport im November beginnen sollte, brach ein Proteststurm los, der seinesgleichen sucht. Diese Opposition sowie die zivilen baltischen Flüchtlinge, die sich in Schweden frei bewegten, ermunterten die baltischen Soldaten, sich zur Wehr zu setzen: sie verstümmelten sich, unternahmen Selbstmordversuche und veranstalteten einen Hungerstreik.
J. Trickmann, »Morgon-Tidningen«, am 13.12.1945
Sehr geehrter Herr Redakteur! Die jüngste Entwicklung in unseren Beziehungen zu den USA, die zur Abberufung des amerikanischen Botschafters geführt hat, erfüllt mich und viele andere mit heiliger Entrüstung. Seit der Auslieferung der Balten kurz nach Kriegsende bin ich über das Handeln der schwedischen Regierung nicht so empört gewesen wie jetzt.
Leserbrief in »Svenska Dagbladet« vom 13.3.1963
A m 26. November 1945 meldete Svenska Dagbladet , dass sich während der letzten Tage eine Flut von Protesten über Schweden ergossen habe. Die Zeitung druckte in mehreren Spalten eine Auswahl von Leserbriefen und Telegrammen ab. Siebenhundert schwedische Ärzte hatten ein Protesttelegramm an den König gerichtet. Studentenvertreter aus Uppsala und Lund protestierten. Drei christliche Studentenvereinigungen aus Stockholm appellierten an den Außenminister, er möge den Internierten eine individuelle Prüfung ihrer Angelegenheit zusichern. Die Domgemeinde zu Skara schickte ein Protesttelegramm, die Lehrerschaft der Göteborger Volksschulen, der Verband der Volksschulräte, der Grundschullehrerinnenverband Schwedens, der Volksschullehrerverband und der Lehrerverband der Technischen Lehranstalten protestierten ebenfalls.
Die Studentenverbände Stockholms, die Gymnasialvereinigung »Junge Rechte« und der jungschwedische Verband von Kungsholmen protestierten. Bei der Hauptversammlung des Seglerverbandes schlug dessen Vorsitzender, Admiral Lybeck, vor, der Verband solle sich in einem Protestschreiben an die Regierung der allgemeinen Protestaktion anschließen: dieser Vorschlag wurde per Akklamation angenommen. Das Baltische Komitee, das unter seinem Vorsitzenden Professor Birger Nerman »die Entwicklung im Baltikum unter sowjetischer und deutscher Herrschaft unparteiisch verfolgt« hatte, appellierte an den König, er möge »im Namen der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit das furchtbare Schicksal abwenden, das im Falle einer Durchführung des Auslieferungsbeschlusses unabwendbar« sei.
Die Reihe der protestierenden Organisationen war lang. Der Laienverband der Schwedischen Kirche protestierte. Es protestierte der Ortsverband Göteborg der Freunde der schwedischen Volksschule. Schwedens Blauband-Vereinigung protestierte. Der Jugendrat von Tveta sowie die kirchlichen Jugendkreise Jönköpings protestierten in einem an den König gerichteten Telegramm. Der Predigerverband Ost der Methodistenkirche protestierte ebenso wie der Zentralrat der Frauen in der högerparti , der Staatsbürgerverband Schwedischer Frauen, das Aktionskomitee Christlicher Frauen, das weibliche Hilfskorps der Armee sowie der Frauenortsverband der Rechtspartei in Uddevalla.
Sogar die Ausländerkommission protestierte gegen die Auslieferung, was bei einigen leichtes Erstaunen hervorrief. Dies geschah jedoch auf private Initiative hin: zweihundertvierzig der Angestellten unterschrieben die Protestlisten.
Es gab aber auch eine andere Volksmeinung, die sich scharf gegen diese Protestbewegung wandte; sie blieb jedoch weitgehend im Hintergrund und war fast bedeutungslos. Vor allem die Gewerkschaften unterstützten den Regierungsbeschluss. Sie vertraten zwar eine große Zahl von Menschen, in den Zeitungen und im Rundfunk konnten sie sich aber kaum Gehör verschaffen. Der Schwedische Gewerkschaftsbund (LO = landsorganisationen ) beklagte in einer Stellungnahme »die Propaganda, die aus dunklen politischen Gründen das Verständnis für die tragische Situation vieler Internierter auszunutzen« trachte. »Viele dieser Äußerungen stellen eine Kränkung der Sowjetunion dar. Es wird vorausgesetzt, dass Sowjetrussland die Bestimmungen des internationalen Rechts über die Behandlung von Kriegsgefangenen nicht beachtet. Soviel wir wissen, gibt es für eine solche Annahme nicht den geringsten Grund.« Im gleichen Atemzug wurde auch gegen das protestiert, was man von Gewerkschaftsseite als »faschistische Propaganda« bezeichnete.
Die Vertreter der Stockholmer
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