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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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wenn man meine Worte als eine Art Selbstkritik wegen mangelnder Achtsamkeit bei der Erörterung einer politischen Frage im Außenpolitischen Ausschuss betrachten darf, bleibt doch die Möglichkeit bestehen, dass wir eines Tages vielleicht bereuen werden, was hier gesagt wird, dass die heutige Debatte zu einer Verminderung der Achtung vor unserer eigenen Handlungsweise führen kann.«
    Die große Auseinandersetzung fand jedoch nicht in der ersten, sondern in der zweiten Kammer statt, wo Östen Undén die Regierungserklärung verlas und wo auch der Hauptopponent saß: Elis Håstad.
    Håstad ging in seiner langen Ansprache in einer Reihe von Einzelfragen zum Angriff über. Er attackierte die Geheimniskrämerei um die Auslieferung, den Schleier der Verschwiegenheit, den die Regierung über die ganze Affäre gebreitet hatte. Er stellte fest, dass es Schweden freigestanden habe, von der Auslieferung abzusehen, wenn die Verantwortlichen nur gewollt hätten. Er stellte ferner fest, dass die Balten, selbst wenn sie sich freiwillig zur deutschen Wehrmacht gemeldet hätten, jetzt das Recht hätten, in Schweden aus politischen Gründen um Asyl zu bitten. »Haben wir jemals zuvor Personen ausgeliefert, die sich an aufrührerischen Handlungen gegen das eigene Land oder sonstwie an Widerstandsaktionen beteiligt haben?« Er stellte fest, dass, »soviel ich weiß, während der Schreckensherrschaft des Nazismus und des Faschismus, als Flüchtlinge in Massen auch in unser Land kamen, niemand ausgeliefert« worden sei. Er gab jedoch zu, dass es später Ausnahmen gegeben habe, nämlich Auslieferungen an Dänemark und Norwegen, »aber in diesen Fällen hat es sich um Landesverräter auch nach unseren Vorstellungen gehandelt; diese Akte muss man auch als einen Teil der natürlichen Zusammenarbeit der nordischen Brudervölker sehen, die auch die Rechtspflege umfasst«.
    Weiter stellte er fest, dass es keine individuelle Prüfung gegeben habe. Außerdem habe sich die Frage im Juni ganz anders dargestellt; sie sei der Öffentlichkeit und den Verantwortlichen auch in unzulänglicher Form präsentiert worden. Und er erklärte: »Mein Standpunkt ist rein grundsätzlicher Natur: Schweden sollte keine Personen ausliefern, die als Insurgenten oder als Landesverräter behandelt werden können, weder an die Sowjetunion noch an irgendeinen anderen Staat .«
    Er schloss seine lange Ansprache mit den Worten: »Wenn es in dieser Stunde auch nur die leiseste Hoffnung auf Schutz und Hilfe für diese Menschen gibt, will ich bis zuletzt glauben, dass diese Hoffnung sich erfüllen möge.«
    Die Liste der Redner war lang, und ihre Argumente waren im großen und ganzen dieselben. Was hinterher aber als sensationellster Diskussionsbeitrag im Gedächtnis haftenblieb, war das Schlusswort Östen Undéns. Er schloss nämlich mit einer Wiedergabe seiner Meinung zu dem baltischen Problem insgesamt, und er sprach außerordentlich deutlich und ohne Umschreibungen, fast brutal.
    »Die baltische Frage ist als Ganzes ein äußerst schwieriges Problem; ihr Kern liegt natürlich in der Frage nach der Zukunft dieser Völker. Unter den politisch interessierten Balten selbst wird, soviel mir bekannt ist, im Augenblick folgendes überlegt: der einzig richtige baltische Patriotismus bestehe gegenwärtig darin, den Glauben an die Zukunft dieser Länder als selbständige und souveräne Staaten wachzuhalten, etwa so, wie das in der Zeit zwischen den beiden Kriegen geschehen ist. Resignation in dieser Hinsicht sei fehl am Platz. Weder die Vereinigten Staaten noch Großbritannien, so wird argumentiert, hätten bislang den neuen Status der baltischen Staaten anerkannt. In Amerika gebe es eine starke Volksmeinung für ihre Selbständigkeit. Es gelte also, die Hoffnungen aufrechtzuerhalten, Propaganda zu treiben, die Weltmeinung auf die Seite der Balten zu bringen und einen Entrüstungssturm gegen die fortgesetzte Herrschaft der Sowjetunion im Baltikum anzufachen.
    Diese Hoffnungen sind nach meiner Überzeugung reiner Illusionismus. Bereits in der Zeit zwischen den Kriegen gab es an vielen Orten der Welt starke Zweifel an der Zukunft dieser kleinen und jungen Republiken. Ihre Lage war so, dass niemand bezweifeln konnte, ein wieder aufstrebendes Russland werde einen entscheidenden Einfluss auf ihre Politik geltend machen. Die politische Reife dieser Völker konnte man kaum als sonderlich ausgeprägt bezeichnen. Diese Staaten begannen bekanntlich als mustergültige Demokratien, glitten

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