Die Ballade der Lila K
hierbleiben?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich will auch nicht, dass du hierbleibst. Das hieße, dass ich auf ganzer Linie gescheitert bin.«
»Dann sind Sie bereit, zu meinen Gunsten auszusagen?«
»Ja, Lila, unter einer Bedingung: Du kehrst nicht in die Bibliothek zurück.«
»Das können Sie nicht von mir verlangen!«
»Das kann ich sehr wohl, und ich meine es ernst. Die Bibliothek ist an allem schuld. Die vielen Bücher, die Artikel haben dir den Kopf verdreht.«
»Ach, Fernand, lassen Sie die Bücher bitte aus dem Spiel! Zeigen Sie ein bisschen Mumm und sagen Sie klar und deutlich, dass Sie Milo die Schuld geben.«
»Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen – du siehst, ich weiche der Frage nicht aus. Hör zu, ich … ich weiß nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber eines musst du dir klarmachen: Mit diesem Mann stimmt etwas nicht. Seine Einsätze in der Zone, die Kontakte, die er dort geknüpft, die Berichte, die er vorgelegt hat … All das zeugt von einer fragwürdigen politischen Gesinnung. Die Verhältnisse sind dabei, sich zu ändern, Lila. Die Regierung hat endlich beschlossen, im Kulturministerium für Ordnung zu sorgen und die Zügel wieder selbst in die Hand zu nehmen. Milo Templeton hat in letzter Zeit einige wichtige Fürsprecher verloren. Bald wird er Schwierigkeiten bekommen.«
Ich schüttelte den Kopf.
»So ein Unsinn!«
»Der Kerl ist gefährlich, glaub mir. Man muss dich seinem Einfluss entreißen. Deine Vergangenheit ist schon Belastung genug, Lila. Du kannst dir einen solchen Umgang gar nicht erlauben.«
Ich schwieg.
»Bist du nun einverstanden? Ich sage zu deinen Gunsten aus, wenn du mir versprichst, in der Bibliothek zu kündigen und diesen Milo Templeton nie wiederzusehen. Einverstanden, Lila?«
»Was habe ich schon für eine Wahl?«, fragte ich bitter.
Er verzog den Mund.
»Keine.«
Am 25 . November teilte das Ministerium mit, was die Autopsie des von mir angegriffenen Automaten ergeben hatte: Der Tod war durch den Riss mehrerer bereits stark korrodierter zerebraler Verbindungen erfolgt. Auch sonst hatte sich das Gerät in einem Zustand fortgeschrittenen Verfalls befunden: beschädigte Organe, Zersetzung der künstlichen Haut und damit einhergehende Verunreinigung der Körperflüssigkeiten, Abnutzung der Gelenkknorpel und Hauptschaltkreise, Osteoporose … Der Automat hatte in jedem Fall das Ende seiner Lebensdauer erreicht, was für meine Entlastung sprach. Er war eines natürlichen Todes gestorben, wenn man so sagen darf.
Am 26 . stellte das Ministerium das Ermittlungsverfahren wegen schwerer Körperverletzung und fahrlässiger Tötung ein, das es gegen mich eingeleitet hatte.
Am 30 . reichten die Psychiatrie-Experten ihr Gutachten ein: Ihrer Ansicht nach stellte ich keine Gefahr für mich selbst dar, aber sie wiesen auf eine Neigung zu Zwangsstörungen und ein zeitweise getrübtes Urteilsvermögen hin. Sie erteilten mir die Erlaubnis, das Krankenhaus zu verlassen, unter der Auflage einer regelmäßigen psychiatrischen Nachuntersuchung, die zunächst monatlich und später vierteljährlich erfolgen sollte.
Die Vorstellung, erneut von einer Expertenrunde kontrolliert zu werden, begeisterte mich zwar nicht gerade, aber ich war dazu bereit, um diesem Irrenhaus zu entkommen. Allmählich gewann ich Übung im Umgang mit Kommissionen und Komitees. Und so machte ich mir nicht die geringsten Sorgen: Ich würde mit diesen Eierköpfen spielend fertigwerden.
Am 1 . Dezember kehrte ich in mein Apartment zurück. Drei Tage später schaute Fernand bei mir vorbei.
»Ich habe eine traurige Nachricht, Lila: Pascha kommt nicht mehr heim. Vor ein paar Tagen haben wir das Signal verloren. Da war er im 10 . Bezirk unterwegs, Gott weiß, was ihm dort alles zugestoßen sein mag … Es tut mir furchtbar leid.«
Ich vergoss ein paar Tränen, obwohl Pascha es möglicherweise gar nicht so schlecht getroffen hatte. Als Streuner im urbanen Dschungel umzukommen ist für einen Salonkater durchaus ein rühmlicher Tod. Ich beneidete ihn fast um sein Los. Immerhin hatte er sich seine Freiheit erobert.
Von Ihnen hatte ich immer noch keine Nachricht, und ich war vor Angst wie gelähmt, wenn ich an Fernands Worte im Krankenhaus dachte: Die Verhältnisse sind dabei, sich zu ändern, Lila. Milo Templeton hat in letzter Zeit einige wichtige Fürsprecher verloren. Wo steckten Sie bloß? Die Unwissenheit war schwer zu ertragen. Ich war immer wieder versucht, Sie zu kontaktieren, aber Sie
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