Die beiden Seiten der Münze (German Edition)
Handynummer und hoffte, dass er erreichbar war. Er hob gleich ab: „Hi Süße, was gibt’s?“ Lynn räusperte sich: „Hi, ich brauche Deine Hilfe. Ich bin in einer blöden Lage und weiß nicht weiter. Hast du heute zufällig Zeit für mich?“ „Ich habe zwar heute Abend schon etwas vor, aber das lässt sich verschieben“ meinte Alex. „Ich habe ein Meeting bis circa 17 Uhr, dann komme ich gleich zu dir, okay?“ Lynn war erleichtert. Ein Gespräch mit Alex würde ihr sicher ein wenig Klarheit bringen. „Danke!“ flüsterte sie. „Bis dann!“
Den Rest des Tages verbrachte sie im Bett. Sie konnte sich nicht einmal dazu aufraffen aufzustehen, geschweige denn, etwas Sinnvolles zu tun. Schlaf wollte sich leider nicht mehr einstellen aber Lynn hatte im Hinblick auf den bevorstehenden Besuch von Alex die Hoffnung, dass sie sich danach besser fühlen würde.
Ihre Augen fielen auf ihre Unterarme. Sie betrachtete die Narben, die sie sich selbst jahrelang zugefügt hatte. Wieder ein Beweis für ihre Unfähigkeit mit Problemen umzugehen. Der Schmerz hatte ihr das Gefühl gegeben, lebendig zu sein und zu fühlen. Besser Schmerz als gar nichts, auf jeden Fall viel besser als die Leere in ihrem Inneren.
Lynn beschloss, sich anzuziehen. Alex sollte die Wunden, die sie sich mit der Stahlwolle zugefügt hatte, nicht sehen.
Kurz nach fünf Uhr läutete es an der Tür, Alex war da. „Na, was gibt’s denn, meine Kleine?“ Lynn liebte es, wenn er sie so nannte. Bei ihm klang das irgendwie tröstlich, fürsorglich und gar nicht herablassend. „Hm, du musst mir aber versprechen, nicht sauer zu werden. Ich habe Mist gebaut. Ich bin nicht einmal sicher, dass ich versprechen kann, es nicht wieder zu tun.“ „Das klingt ja gar nicht gut, schieß los“ sagte er.
Lynn erzählte der Reihe nach alles, was sich in der letzten Zeit ereignet hatte. Alex hörte nur stumm zu. Als sie geendet hatte, schwieg er erst einmal für einige Minuten. „Klingt nach einem richtigen Arschloch“ sagte er, dann war wieder Pause.
„Du machst es ihm aber auch wirklich leicht, das weißt du schon, oder? Das geborene Opfer. Du schreist ja förmlich: tu mir weh, ich habe keinen Respekt vor mir selbst – warum also solltest du welchen haben?“
Lynn senkte den Kopf: „Ich weiß.“
„Das scheint irgendwie eine Frauenkrankheit zu sein. Da bist du nicht die Einzige, auch wenn nicht jede Frau in eine solche Situation kommt. Der Typ scheint wirklich extrem zu sein. Ich habe da einige Fragen.“ „Ja?“ Lynn war dunkelrot im Gesicht.
„Gefällt er dir optisch, sieht er gut aus?“
„ Naja, geht so. Eigentlich ist er nicht so mein Typ. Aber er sieht auch nicht schlecht aus.“
„ Ist der Sex wenigstens gut?“
„ Kann ich nicht einmal sagen, es geht so schnell und wirkt nur wie ein Vorspiel für den eigentlichen Akt, den Biss.“
„ Was genau gibt den Ausschlag dafür, dass du mitgehst? Irgendetwas muss er ja tun oder sagen, das Deine Meinung ändert.“
„ Es ist diese eigenartig intensive Art, wie er mich ansieht und Dinge sagt, die ich unbedingt hören will. Dinge, die ich lange nicht gehört habe. Er sagt, dass er mich will und, dass ich schön bin und so. Ich weiß selber, dass das blöd und pubertär ist, aber da setzt in meinem Gehirn einfach alles aus. In dem Moment habe ich nur mehr weiche Knie, mein Herz klopft wie verrückt und ich scheine jede Kontrolle zu verlieren.“ Lynn fand, dass das richtig peinlich klang, so wie sich das anhörte, wenn sie es sagte. „Ich glaube, so ungefähr muss sich ein Junkie anhören.“
„Frauen!“ stöhnte Alex. „Du weißt doch was ich den Frauen immer alles für Schwachsinn erzähle, wenn ich sie ins Bett kriegen will. Jeder Mann, der nur halbwegs etwas auf dem Kasten hat, weiß das. Dieser Kerl scheint ganz genau zu wissen, was er zu dir sagen muss. Aber es liegt an dir, das zuzulassen oder nicht. Hat er etwas von einer Beziehung gesagt oder, dass er dich liebt?“
„Nein.“
„Braucht er anscheinend auch nicht. Er wirft dir ein paar Brotkrumen hin und du springst sofort darauf an. Du musst das stoppen, er wird es sicher nicht tun. Für ihn ist die Sache ja sehr bequem. Er schnippt sozusagen nur mit dem Finger, braucht nicht einmal etwas zu versprechen und bekommt genau das was er will. Sehr praktisch. Aber ich kann dir sagen, dass der Respekt dir gegenüber da total auf der Strecke bleibt. Ganz im Gegenteil. Der holt sich so
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