Die Belagerung der Welt - Romanjahre
habe ich sie (mir) entkommen lassen? Ich sage: Hör zu, morgen fahren wir zusammen nach Paris und versuchen es. Wir sind uns ja in unseren Briefen und Anrufen darüber einig gewesen, daà uns nur noch das übrigbleibt: es zu versuchen, uns zusammen in die Realität einzuholen, weil wir sonst diesem irrealen Zustand der Anfechtungen, der Gespenster, des Sehnens, des Absorbiertseins (durch Vorstellungen), weil wir anders dieser Lähmung nicht Herr werden können. So oder ähnlich habe ich auf sie eingeredet auf diesem Gang oder an einem einigermaÃen ruhigen Tisch in einem Pub mit den Schotten vorn an der Theke und während ich ab und zu nach vorn gehe und neue Gläser, mit Pernod â ihre Idee â hole und bringe. Und sie sitzt da und hat dieses Insichgekehrte, Verschlossene, fast Verbohrte, schlau wirkt es beinahe, aber auch traurig, dieses Gesicht, ein Gesichtsausdruck, den ich nicht ganz begreife, aber etwas in mir versteht ihn. Und ich rede
eigentlich ohne Ãberzeugung, verloren, verloren, raunt etwas in mir, auch habe ich Angst beim Gedanken, daà sie wirklich dann bald bei mir in Paris sein würde, in dem kleinen Schachtelzimmer, zwei Fremde, habe ebenfalls Angst vor allem, was ich nicht an ihr kenne und wohl auch nicht teilen könnte, und sie nennt es auch einmal, ganz gedankenverloren sagt sie es, schnell und leise: Du würdest mich einsperren, du würdest mich von fast allen Dingen meiner Generation ausschlieÃen. Und ich wiederum hätte Angst vor ihren mir fremden, vielleicht gegen den Strich gehenden Gewohnheiten. Nicht auszudenken, das ganz enge Zusammenleben, denkt es in mir und hofft fast auf eine Absage. Und wirklich, immer wieder geht ein verneinendes Mimen, ein Ansatz des Kopfschüttelns über das liebe Gesicht, das mich nicht mehr anzuschauen wagt, darum zu Boden blickt. Und wieder hinaus auf die StraÃen. Ich habe sie laufen lassen, schlieÃlich.
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Und jetzt kommt mir der andere Spaziergang in den Sinn, vor zwei Wochen erst, in Zürich, am Abend:
Am See. Es dunkelt. Marianne und ich, nach einem Tag voller Hader, und ich bin durch ihre immer wiederkehrenden Tränenausbrüche gereizt, ihre ständige Frage: »Aber warum muÃtest du mich immer betrügen? Ich kann und will nicht mit einem Weiberhelden zusammensein â¦Â« Derlei Gespräche, Anwürfe, Ausbrüche.
Ich bin seit wenigen Tagen wieder in Zürich und möchte sie, wie abgemacht, nach Paris holen. Ihr Husten, Weinen, die ewige Erkältung, ihr trotziges, beleidigtes, aggressives, haltloses und auch haltungsloses Benehmen. Und dann schlug ich vor, den See entlang Richtung Seefeld zu laufen, Richtung Bellerive-Park, Seepromenade, wo wir so oft abends mit dem Hund noch hingepilgert, hingewandelt, hinspaziert
waren, innig allein, in Abendgespräche versponnen oder Nachtgespräche.
Wir setzen uns ins ehemalige »Frascati«, das jetzt eine Backhendlstation geworden ist. Ein riesiger Kellner, ein wahrhaft stangenlanger Kerl, dünn und alles überragend, der möglicherweise seiner Länge wegen oft gehänselt wird, bedient uns überaus aufmerksam. »WeiÃt du, warum er so nett ist? Weil er merkt, daà wir ihn in seiner ganzen Länge für voll nehmen, weil er sich akzeptiert fühlt, darum«, sage ich.
Und nun will sie wissen, was ich denn bei den Huren suche und finde. Und ich antworte, und es ist ein milder Abend, mit einer Spur Herbstvorahnung in der Luft, nicht viel Leute im Lokal mit den rustikalen Nischen, und ich habe Marianne einen Irish Whiskey gegen das Husten und Heulen verschrieben und mir einen Bourbon mit Wasser ⦠und ich antworte: Da ist erst mal die Einsamkeit; wenn ich so lange allein bin, muà ich von Zeit zu Zeit eine Frau umarmen, das hält dann eine Weile vor. Ich gehe überhaupt nicht aus Verklemmung oder Kontaktschwierigkeiten zu Prostituierten. Es sind übrigens ja auch nicht StraÃenmädchen, sondern eher »Belles de jour«, die ich aufsuche, Mädchen von diesen Maisons de Rendez-vous. Da hat man auch Zeit füreinander, ein, zwei Stunden und mehr, in diesen schönen Zimmern, wo man sich unterhält und nicht gleich, sondern nach sachten Annäherungen, fast wie »richtig« mit dem Lieben, Liebemachen beginnt. Und dann finde ich immer von neuem dieses Zueinandersteigen, diesen Vorgang des Zusammenliegens wunderbar. Ein Wunder, wenn man bedenkt, welche Wälle
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