Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)
Seitz, *7. 3. 39, 5. 10. 43, †21. 10. 44: munter, lacht gern.
Irmgard Rupprecht, *18. 10. 34, 28. 2. 44, †17. 11. 44: spielt gern.
Renate Schiele, *10. 5. 43, 16. 3. 44, †21. 12. 44: erkennt, lacht Bekannte an.
Wilhelm Eichner, *31. 5. 26, 28. 4. 41, †10. 1. 45: heiter, gutmütig.
Manfred Seidler, *18. 12. 27, 27. 9. 44, †23. 1. 45: aufgeweckt, schreibt.
Jürgen Wolter, *15. 4. 41, 24. 7. 44, †9. 2. 45: hängt am Personal, possierlich.
Viktor Seitz, *16. 8. 39, 26. 10. 43, †9. 2. 45: blind, gutmütig, zufrieden.
Adolf Kästner *17. 9. 43, 16. 6. 44, †13. 2. 45: lächelt gern und viel.
Rolf Hofmann, *7. 8. 28, 5. 1. 45, †21. 2. 45: gutmütig, lacht immer.
Georg Walthes, *5. 9. 29, 8. 12. 44, †2. 3. 45: ruhig, zufrieden.
Richard Steinel, *17. 7. 40, 27. 2. 45, †7. 3. 45: gutmütig, anlehnungsbedürftig, lächelt viel. [243]
Ich habe Heimweh
Adolf N., geboren am 12. Januar 1931, litt infolge einer Gehirnhautentzündung an Bewegungsstörungen und einem Rückstand in der geistigen Entwicklung. Er ging selbständig auf die Toilette, wusch sich, konnte sich, mit Ausnahme der Schuhe, selbst anziehen, half auf der Station der Heidelberger Forschungsabteilung beim Wickeln gewaschener Binden und bewältigte einfache Testaufgaben gut.
Als die Psychologin Adolf während eines Entwicklungstests auffordert, ein Stück Papier entlang einer Faltkante zu zerreißen, erwidert er: »Nein, das ist zu schade. Darauf kann man doch malen.« Über sein Verhalten in der warmen Badewanne steht im selben Testbericht: »Er steckt zuerst die Hand in das Bad, steigt dann freudig herein, doch bis an den Hals will er sich nicht ins Wasser legen. Auf Befragen warum, sagt er, er habe Angst vor dem Ertrinken, das wäre doch der Tod. Mit den schwimmenden Gegenständen spielt er sehr nett und ist über alles, was ihm gelingt, freudig und lacht dabei herzhaft. Er ist auch in der Lage, eine Flasche unter Wasser richtig zu füllen. Als plötzlich ein Patient auf der Station anfängt zu singen, hört er auf und beginnt dann selbst zu singen, ziemlich melodisch.« Als Adolf während desselben Tests ein kaltes Bad besteigen soll, sagt er, »es ist kalt, und bittet, nicht herein gehen zu müssen, auch auf vieles Zureden hin lässt er sich nicht dazu bewegen und macht ein flehendes Gesicht«. Am Ende des Tests heißt es zum allgemeinen Verhalten: »Zeitweise ist Adolf in sich gezogen und weint leise vor sich her, befragt, warum er weint, antwortet er: ›Ich habe Heimweh.‹ Er kann sehr schlecht sprechen, und es dauert manchmal sehr lange, bis er ein Wort heraus hat.«
Adolf N. wurde in der Forschungsabteilung Heidelberg sieben Wochen lang untersucht und dann in die Todesanstalt Eichberg verlegt, wo er am 8. September 1944 ermordet wurde. Sein Vater schrieb zum Tod seines Sohnes in verbindlicher Form an die Heidelberger Klinik, und der dort verantwortliche Arzt der Forschungsabteilung, Julius Deussen, antwortete: »Dolfi« sei »an einer Lungenentzündung, und zwar ohne zu leiden, gestorben« – »und einsamer als früher wird er sich auch nicht gefühlt haben«. [244]
Was wussten die Leute über das Morden?
Anfang 1944 starb in Mühlhausen/Thüringen ein herzkranker Mann, weil er sich geweigert hatte, die vom Arzt verordnete Medizin einzunehmen. Nach Auskunft der Witwe hatte ihr Mann vermutet, »dass die Ärzte von der Regierung den Auftrag bekommen hätten, invalide Leute nicht mehr zu behandeln« und stattdessen »ihren vorzeitigen Tod herbeizuführen« – genau so, wie es mit den Geisteskranken schon lange geschehe. Dass die Meldung von dort stammte, dürfte nicht ganz zufällig gewesen sein. In der nahe gelegenen Landesheilanstalt Pfafferode wirkte Direktor Theodor Steinmeyer, einer der entschlossensten Massenmörder unter den deutschen Anstaltsdirektoren.
Der Vorfall kam der Reichsleitung der NSDAP zu Ohren, die daraufhin den Sicherheitsdienst bat, herauszufinden, wie weit solche Ansichten in der Bevölkerung verbreitet seien. Dem folgte am 28. März 1944 ein Rundschreiben, das Otto Ohlendorf an sämtliche SD-Abschnitte richtete. Er beauftragte seine Horcher und Kundschafter, der Frage nachzugehen, wo überall »Gerüchte über die Herbeiführung des vorzeitigen Todes bei alten Leuten« herumerzählt würden. In den nächsten Wochen gingen dazu Berichte ein, die insgesamt etwa 100 Seiten umfassten. Aus diesem Material formte der
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