Die Beschützerin
Alibi gab es nichts zu rütteln.«
Ich versuchte, die Flut von Gedanken, die mir in den Kopf kam, zu ordnen. »Hat Karsten diesen Hunzicker zu seiner angeblichen Affäre befragt?«
»Klar. Hunzicker hat es nicht abgestritten, fremdgegangen zu sein. Aber er hat sich geweigert, darüber mit Karsten zu sprechen.«
Es gab im Hamburger Telefonbuch nur einen Eintrag unter dem Namen Christian Hunzicker. Ich tippte langsam seine Nummer in Ullas Telefon, zögerte vor der letzten Ziffer, bis das Display sich in den Ruhestand verabschiedete. Was sollte ich zu ihm sagen? Ich musste meinen Anruf erklären. Nein, vermutlich landete ich auf einem Anrufbeantworter. Welcher normale, arbeitende Mensch war an einem Montagmittag zu Hause? Ich würde ihn einfach bitten, mich zurückzurufen, und mir in der Zwischenzeit etwas überlegen. Ich wählte erneut die Nummer. »Hunzicker?«
Er war da. »Guten Tag, mein Name ist Janne Amelung. Ich rufe aus Berlin an. Wir kennen uns nicht, und ich habe eine etwas ungewöhnliche Bitte an Sie.« Ich zögerte kurz. »Ich würde gern mit Ihnen über Ihre Verlobte sprechen. Ãber Katharina Schilling.«
»Für welche Zeitung schreiben Sie?«
»Ich bin nicht von der Presse. Ich arbeite bei Alfa.Sat, dem Fernsehsender. Aber ich rufe aus privaten Gründen an.«
Die Antwort war statisches Knistern.
Ich holte Luft. »Bei uns im Sender ist die Unternehmensberatung Bloomsdale Consulting im Einsatz, und ich habe mit einer Frau namens Vanessa Ott zu tun.« Ich suchte nach einer Formulierung, die nicht allzu verrückt klang. »Ich weiÃ, dass auch Ihre Verlobte mit ihr zu tun hatte. Dass es zu gewissen Schwierigkeiten gekommen ist. Ich wüsste gern mehr über die Hintergründe. Ich habe den Eindruck, es gibt eine Reihe Parallelen und â¦Â« Ich brach ab, weil ich hörte, wie Christian Hunzicker scharf die Luft einzog. Die Wahrheit müsse ans Licht kommen, hatte er dem Journalisten gesagt. Jetzt, ein Jahr später, wollte ich diese Wahrheit hören.
»Ich weià nicht, woher Sie Ihre Informationen haben«, sagte er. »Vielleicht wissen Sie aus derselben Quelle, dass ich eine einstweilige Verfügung unterschreiben musste. Ich darf meine Meinung zu dieser Frau nicht äuÃern. Und ich will es auch nicht mehr. Damals hat mir niemand zugehört. Die Kripo hat sich von diesen Lackaffen mit ihren dicken Autos blenden lassen. Die Presse hat gekuscht.« Er schnaubte. »Ich habe mühsam gelernt, mit dem, was passiert ist, zu leben. Und jetzt will ich meine Ruhe. AuÃerdem glaube ich Ihnen kein Wort. Sie schützen persönliche Betroffenheit vor, um mich dann in eine dieser Realityshows zu locken. Sie schlagen Profit aus dem Leid anderer. Das bringt Einschaltquoten, oder? Wissen Sie was? Ich scheià auf Sie und Ihren Sender. Ich scheià auf Ihre Lügen. Ihr kotzt mich alle an.« Es klickte. Die Leitung war tot.
Ich legte den Hörer auf und starrte auf Ullas Bildschirmschoner, auf dem Sterne explodierten und durch farbenfrohe Spiralnebel sausten.
Was verband Katharina Schilling und mich auÃer Bloomsdale Consulting? Ihre Welt war zerbrochen, und schlieÃlich hatte sie keinen Ausweg mehr gesehen und sich in den Tod gestürzt. Wieso dachte Mark Winter, dass sich die Geschichte wiederholen würde? Hunzicker hatten sie zum Schweigen gebracht. Im Abschiedsbrief hatte gestanden, er habe eine Affäre gehabt. Vielleicht für Katharina der letzte AnstoÃ, sich umzubringen. Ich dachte an Gregor und Vanessa Ott in der Bar. Egal, wie ich es drehte oder wendete, im Zentrum meines Spinnennetzes saà Vanessa Ott.
Ich sah sie vor mir, wie sie mir ihr langes Haar präsentierte. Wie sie in irgendeinem Laden ein grünes Tuch fand, das meinem ähnelte. Wie sie ihre tristen Anzüge gegen farbenfrohe Klamotten tauschte. Wie sie sich langsam in mich verwandelte. Mir wurde eiskalt.
Wenigstens in meine Wohnung würde sie nicht mehr kommen, dafür würde ich sorgen.
Ich sah auf die Uhr. Der Schlüsseldienst. Ich musste mich beeilen. Ich fuhr nach Hause und schaffte es fünf Minuten vor der Zeit. Ich leerte meinen Briefkasten und beschloss, erst auf den Handwerker zu warten, bevor ich in die Wohnung ging. Er verspätete sich. Zunächst schob ich es auf die Verkehrsverhältnisse, doch nach fünfzehn Minuten rief ich bei der Firma an. Die Mitarbeiterin klang überrascht.
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