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Die Blueten der Freiheit

Die Blueten der Freiheit

Titel: Die Blueten der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Anthony
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dem Priester gesagt, der gekommen war, um ihren Tod festzustellen. Ein Unfall. Als hätte das, was sie getan hatte – das, was sie aus mir gemacht hatte –, nie eine Rolle gespielt.
    Abscheu spiegelte sich auf Remys Gesicht wider. Ich hatte immer gewusst, dass es einmal so weit kommen würde. Wie konnte er mich nicht verabscheuen? Ich hatte meinen Vater enttäuscht, und dann hatte ich auch noch meine Mutter an ihn verraten.
    Plötzlich bemerkte ich, dass ich die Pistole auf Remy gerichtet hatte. Ich wusste nicht mehr, wie sie in meine Hand geraten war. »Es war für uns alle das Beste. Sie war verrückt – das war sie immer schon gewesen. Vater schickte mich an den königlichen Hof, um der Entourage des Königs beizutreten …« Es war eine furchtbare Katastrophe gewesen. Ich hatte nichts von alldem verstanden. Die Männer dort lebten für die Jagd, lauerten den Dienstmädchen auf und sprachen über ihre Dinger, als wären sie etwas, worauf man stolz sein konnte. Als ob sie gerade auf das, wofür ich mich am meisten schämte, am meisten stolz gewesen wären. Ich hatte absolut nichts von alldem verstanden.
    Wovon hatte ich gerade gesprochen? Ach ja. Von meiner Mutter. »Sie hat nach mir gerufen, bevor sie starb. Sie nannte mich Julien. Als hätte sie endlich verstanden …« Warum musste ich immer alle enttäuschen? »Man kann nie etwas sein, was man nicht ist.« Selbst das Mädchen hatte mich abgewiesen.
    Remy zog sich langsam immer weiter von mir zurück und warf über seine Schulter hinweg einen Blick auf das Château.
    Alles, was ich je gewollt hatte, war, dass mich jemand liebte. Warum konnte ich die Menschen nicht dazu bringen, mich zu lieben?
    »Was ist bloß mit dir geschehen?«
    Mit mir? Hatten wir nicht über ihn gesprochen? »Ich habe dir vertraut. Ich dachte, du wärst anders als die anderen. Ich dachte, du würdest mich verstehen.«
    »Das bin ich auch. Das tue ich. Ich habe bloß …«
    »Würdest du jetzt bitte gehen? Ich möchte dich nicht erschießen müssen.« Das wollte ich wirklich nicht. Er war so angenehm und warmherzig. Es wäre eine Schande, wenn diese Sache blutig endete.
    Er verlor jegliche Farbe, und seine Augen sprangen wild hin und her.
    »Ich schlage vor, du beeilst dich besser.«
    Er ließ mich stehen und eilte hinauf zum Château. Er blickte nicht ein einziges Mal zurück.

    Er war nicht bis zum Abendessen geblieben. Und er hatte nicht einmal seine Kleider mitgenommen. Ich schloss den Deckel des Koffers. All diese schönen, exquisiten Kleider, die ich für ihn gekauft hatte. Obwohl ich mir solche Mühe gegeben hatte, ihn in den Ritterstand zu erheben, hasste er mich. Ich befahl einem Diener, die Kleider ins Dorf zu bringen, um sie dort zu verteilen. Wenn Remy es wagte, nach ihnen zu schicken, dann wäre er sicher enttäuscht, wenn er erfuhr, was mit ihnen geschehen war.
    Genauso enttäuscht, wie ich es war.
    War ich nicht außerordentlich geduldig gewesen, wenn er seine Ausritte unternommen hatte? Hatte ich nicht den Blick abgewandt, wenn er seine Bedürfnisse woanders befriedigt hatte? Mit Frauen? Und hatte ich nicht immer seine Schulden beglichen … oder sie zu meinen eigenen hinzurechnen lassen?
    Ich schenkte mir ein Glas Branntwein ein, und ich hätte ihn auch getrunken, wenn meine Hand bloß einmal aufgehört hätte zu zittern. Ich hob das Glas dennoch an meinen Mund, doch ich schaffte es bloß, mein Hemd zu beschmutzen. Ich warf das Glas zu Boden, nur um zu hören, wie es zerbrach.
    Der Klang von zerschellendem Glas. Er brachte so viele Erinnerungen zurück.
    »Nein, Julienne! Mon dieu, was glaubst du, wer du bist? Du musst langsam, behutsam und leichtfüßig gehen – wie eine Dame. Nicht wie ein ungezogener, wehleidiger Junge.«
    In meinem Inneren kämpften Stolz und Scham oft gegeneinander an. Wenn meine Mutter mich angebrüllt hatte, dann hatte sie wenigstens das in mir gesehen, was ich wirklich war. Doch wenn sie mich ausschimpfte, dann hatte das bedeutet, dass sie nicht zufrieden war mit dem, der ich war. War es denn meine Schuld, dass die Gefühle, die aus der Region stammten, die mein Geschlecht verriet, bloß Scham und das Bedürfnis auslösten, mich zu verstecken? War es denn meine Schuld, dass ich den Kern meines Wesens aus tiefstem Herzen hasste? Ich hatte Remy vertraut, doch letzten Endes hatte er nur das wiederholt, was meine Mutter immer gesagt hatte:
    Du bist nicht genug.
    Ich hoffte, dass sie der Herrgott verfluchte – wenn er das nicht schon längst

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