Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
geschickt werden. Er zerschmettert nicht einem unschuldigen Säugling den Schädel oder schneidet seiner Mutter die Brüste ab, während er sie vergewaltigt.«
» Das habe ich damit gemeint«, sagte Magdalena und mühte sich, ihre Stimme nicht zittern zu lassen. »Wolltest du den Mann deshalb umbringen? Weil er dies getan hat?«
Lorenzo antwortete nicht. Sie tastete sich zaghaft vorwärts.
»Oder wen hast du in seinen Augen gesehen? Wen wolltest du wirklich umbringen? Ihr seid doch alle gleich, ob ihr Landsknechte seid, die plündern und rauben, oder Räuber, die sich zusammentun und wie Landsknechte auftreten. Weißt du, was der Unterschied zwischen einem wie Corto oder dir und den Männern ist, die ihr heute niedergemacht habt? Nur die Zeit, sonst nichts. Ihr seid noch nicht lange genug im Geschäft, das ist alles.«
Lorenzo schwieg weiterhin, aber sie wusste, dass er jedem ihrer Worte lauschte.
»Du kannst weder auslöschen, was du gewesen bist, noch was du werden wirst, indem du einen umbringst, der sich dem Ungeheuer tief in seinem Herzen bereits ergeben hat. Du kannst nur umkehren, zurückblicken, dich selbst erkennen und Buße tun und dann die Pfade nie mehr betreten, die zu dem Schatten führen, den jeder in sich trägt. Der gerade Weg führt zu Gott.«
»Der gerade Weg, Schwester«, sagte Lorenzo. »Was wissen Sie vom geraden Weg? Ich dachte, wer um den Kreuzgang wandelt, geht immer nur im Kreis.«
»Was weißt du vom Kreuzgang, Lorenzo?«, erwiderte Magdalena, überrascht von ihrer eigenen Hitzigkeit. »Wer dauernd vor sich selbst davonläuft, hat natürlich keine Zeit, einen Weg auch einmal in stiller Kontemplation zu gehen.«
»Was? Was sagen Sie da?«
»Ihr habt euch doch nicht freiwillig zusammengefunden, um über die Straßen zu ziehen und Unschuldige gefangen zu nehmen – um mit ihrer Angst und der ihrer Lieben ein Geschäft zu machen! Jeder von euch läuft vor sich selbst weg, vor etwas, das er getan hat, vor etwas, das jemand anderer ihm angetan hat, oder nur vor dem Bild, das er in einem schwachen Moment von sich selbst hatte, als er seine eigene Zukunft betrachtete und dort nur einen armen Bauern, einen frierenden Fischer, einen schwitzenden Knecht oder einen demütigen Schreiber sah!«
»Falsch, Schwester«, sagte eine neue, ironische Stimme. Magdalena sah überrascht auf. Corto stand im Dunkeln, keine zehn Schritte entfernt. Er war allein. Sie hatte ihn weder kommen gehört noch gespürt. »Manche laufen nicht vor etwas weg, sondern zu etwas hin. Sie haben ein Ziel vor Augen. Was halten Sie davon?«
»Es kommt darauf an, was sie treibt: der Wille, das Ziel zu erreichen, oder die Angst, es nicht zu erreichen.«
Corto stapfte heran und sah auf sie hinunter. Er grinste. Unterm Arm trug er ein Bündel, von dem Magdalena zuerst dachte, es sei etwas zu essen darin eingewickelt, doch Corto machte keine Anstalten, es ihnen zu reichen.
»Hoho! Leg dich nie mit einem Pfaffen an, selbst wenn unter seiner Kutte etwas so Hübsches steckt wie unsere Schwester Magdalena.«
»Ich bin nicht ›deine‹ Schwester Magdalena, Corto«, sagte Magdalena kalt. »Und ich messe nicht die Schönheit meines Körpers, sondern die Klarheit meiner Seele.«
Corto setzte sich. Er ächzte. »Ich werde zu alt für so was«, sagte er. »Der einzige Körperteil, der mir nicht wehtut, ist mein linkes Ohrläppchen.« Magdalena spürte, dass er es nicht sagte, um zu kokettieren, und dass er vor all seinen Männern das Gleiche geseufzt hätte. Corto war einer von den Menschen, deren Größe zunahm, wenn sie eine Schwäche zugaben. Vielleicht war es seine Selbstsicherheit, die es ihr so schwer machte, seine Schwingungen zu empfangen. Sein Geist war wie ein Diamant – hell, kalt und absolut unnahbar. Äbtissin Giovanna war ihm ähnlich; sie hatte sie erst zu verstehen begonnen, als sie auf ihre Schwäche gestoßen war, und selbst dann hatte sich das Verstehen auf diese Schwäche beschränkt. Die Schwäche der Äbtissin war ihr Wunsch gewesen, in den Annalen des Klosters einen persönlichen Eindruck zu hinterlassen, der ihre Zeit überdauerte. Cortos Schwäche wollte erst noch gefunden werden. Sie versuchte, Abneigung gegen ihn zu empfinden, doch es gelang ihr nicht. Selbst die Furcht vor ihm, die in ihrem Herzen schlummerte, war mehr die Furcht davor, dass sie irgendetwas tun könnte, was ihn zu ihrem Feind machte, als vor dem Mann an sich.
»Wie geht es deinen Verletzungen?«, fragte sie unwillkürlich.
»Ich
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