Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
hatte, dass er den Flüchtigen an die Florentiner Behörden ausgeliefert hatte. Wer sich doch nach ihm umdrehte, tat es wegen der Augenklappe und des düsteren Gesichts, das den Gefühlsaufruhr widerspiegelte, der in seinem Herzen tobte.
Bandini hätte den Weg zum Haus seiner Familie mit verbundenen Augen zurücklegen können; genauso wie den Weg zum Haus seines Onkels, den zum Haus der Pazzi, die sich der Verschwörung angeschlossen hatten … und natürlich den zum Palazzo Medici, von dessen Loggia aus der verletzte Lorenzo de’Medici vergeblich versucht hatte, den Mob davon abzuhalten, Rache für den Mord an Lorenzos geliebtem Bruder Giuliano zu nehmen. Er wusste, dass er keine dieser Lokalitäten aufsuchen würde, und auch sonst keinen Ort in Florenz außer denen, die er besuchen musste, um die Mannschaft zusammenzustellen, die er für die Jagd auf Lorenzo Ghirardi brauchen würde. Vierzig Jahre hatte er keinen Fuß in die Stadt gesetzt, dennoch hätte er jedem Fremden den Weg zu einer beliebigen Stelle innerhalb der Mauern beschreiben können. Er ließ sich von Niccolò führen, roch den Duft, lauschte den Geräuschen, betrachtete das Licht, schmeckte den Staub seiner Geburtsstadt und fragte sich, warum in seinem Gedächtnis scheinbar eine ganz andere Stadt festgehalten war.
Antonio Bandini kehrte in seine Heimat zurück und stellte fest, dass die Erinnerung sie größere Dimensionen hatte annehmen lassen, als sie in Wirklichkeit besaß.
Antonio Bandini versuchte sich der Erkenntnis zu verschließen, dass er vierzig Jahre lang Heimweh gehabt hatte.
Domenico Bianchi war ein Hüne. Er stand im mittleren der drei weiten Torbögen, die die Zugänge zu seinem Haus bildeten. Das Haus ragte über ihm auf, drei Stockwerke mit einer Loggia als Krönung, sandgraue Quadersteine, bedacht von dunkelroten Ziegeln, in fast allen Fensteröffnungen Rahmen aus umbrafarbenem Holz, in fast allen Rahmen Fensterglas, das den metallblauen Himmel spiegelte. Von den Querstangen vor den Fenstern hingen Wäschestücke, bunte Wimpel, Fahnen von blutrotem oder safrangelbem Tuch – Farben, die sich in geometrischen Mustern an den Säulen der Loggia wiederfanden, zusammen mit ein paar weiteren in gebrochenen Blau- und Grüntönen, die sich harmonisch in den Farbkreis schmiegten und dennoch nicht darüber hinwegtäuschen konnten, dass das Haus alt war und eigentlich eine Festung innerhalb der Stadt sein sollte. Bianchi hatte das Haus entweder gekauft, oder seine Familie reichte bis in die Zeiten zurück, in denen sich auch über Florenz Dutzende von Geschlechtertürmen erhoben hatten, deren Besitzer einander in herzlicher Feindschaft zugetan waren. Bianchi sah ihnen entgegen, und seine breitschultrige, hochgewachsene Gestalt wirkte nicht einmal vor dieser geschmückten Klippe von einem Haus klein.
Niccolò hatte von der Porta al Prato aus einen Läufer losgeschickt, um seinem Herrn die schlechten Neuigkeiten beizubringen und ihm so die Gelegenheit zu geben, seine erste Überraschung mit sich allein abzumachen. Antonio Bandini, der sich selbst ein Bild vom Herrn des Hauses Bianchi zurechtgelegt hatte, das einem kleinen, dicken Mann mit Fischaugen, schlecht rasierten Hamsterbacken und Plattfüßen ziemlich ähnlich sah, schüttelte eine große harte Pranke und gab sich Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Ghirardi und seine Männer – selbst Niccolò, die Fehlentscheidung – wirkten so selbstsicher, dass er einen Schwächling erwartet hatte, der seinen Knechten zu lange Leine gab, weil er eine kurze nicht halten konnte. Der wahre Bianchi hingegen schien einfach aus dem einen Grund Charaktere wie Ghirardi, Pietro Trovatore oder Buonarotti zu dulden, weil es ihm so gefiel. Er sah jünger aus, als er war, sein Haar war schwarz, sein Gesicht scharf geschnitten, und wenn er sich gerade hielt, fiel es nicht auf, dass sich auf seinen Hüften die Jahre jenseits der vierzig und das gute Essen eines erfolgreichen Kaufmanns abzusetzen begonnen hatten. Er gab jedem Einzelnen der Gruppe die Hand, sah dann zu, wie außer Niccolò und Antonio Bandini alle in einem der Torbögen verschwanden, um die Pferde zu versorgen, und erlaubte sich erst dann ein finsteres Gesicht.
»Niccolò, ich möchte deinen Bericht hören«, sagte er. Niccolò nickte. Bianchi wandte sich an Antonio. »Ich habe unter dem Dach ein paar Kammern frei. Ich hoffe, ich kann Sie als meinen Gast begrüßen. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.« Er lächelte flüchtig. »Wenn
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