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Die Bruderschaft des Schmerzes

Die Bruderschaft des Schmerzes

Titel: Die Bruderschaft des Schmerzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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diesen hineinkroch und die Tür hinter sich zuschlug. War eine Lüge denn noch eine Lüge, wenn man dafür gesorgt hatte, daß aus ihr Wahrheit wurde?
    Und nun stand der Mythos dicht davor, zur Wirklichkeit zu werden. In einem weiten Umkreis waren alle Gehirne tot. Zu Fradens Überraschung hatten die Brüder nicht versucht, neue Gehirne heranzuschaffen. Vielleicht waren auch sie bemüht, die Propaganda in Wirklichkeit zu verwandeln, weil sie sich von der allgemeinen Verzweiflung der Dörfler einen Gewinn für ihre Wahnsinnskampagne versprachen.
    Die Propagandalüge von der Schuld der Töter am Tod der Gehirne war ein durchschlagender Erfolg gewesen. Willems verkleidete Soldaten hatten ihre Sache fast zu gut gemacht, und nun wurde jeder Töter, der sich in einem Dorf zeigte, von den Bewohnern in Stücke gerissen. Als die Wahnsinnskampagne begann, war den Landleuten von Sangre der Himmel auf den Kopf gefallen, und durch den Tod der Läuse wurde ihnen jetzt der Boden unter den Füßen weggezogen. Sie hatten nichts mehr zu verlieren. Sie konnten sich nur noch in eine Richtung wenden, und das taten sie auch. Die Rekruten strömten fast schneller ins Lager, als man sie zählen konnte. Jetzt wollten sie Gewehre. Sie wollten kämpfen. Sie wollten töten.
    So diente der Marsch über die Landstraße auch eigentlich nicht dazu, neue Rekruten anzuwerben. Fraden wollte der Brüderschaft Flagge zeigen. Er wollte seine Stärke demonstrieren.
    Die Straße führte jetzt an den Feldern vorbei, die das nächste Dorf umgaben. In einem Feld direkt am Straßenrand waren ein paar Dutzend wütende Männer vergeblich bemüht, dreißig oder vierzig Läuse zu erschlagen, die kreuz und quer über den Acker trampelten, Getreide zertraten und es mit ihren Scheren ausrissen. Vom Ende des Zuges, wo der Mob der Neuankömmlinge ging, stieg ein vielstimmiges Wutgeheul auf, als die Männer die umherstreunenden Läuse erblickten. Fraden befahl seinen Guerillas anzuhalten, dann bedeutete er den Männern im Feld durch ein Handzeichen, daß sie zur Seite treten sollten. Die Bauern trotteten auch gehorsam zum Straßenrand, während die Guerillas nach links ausschwenkten und an der Straßenseite eine lange Feuerlinie bildeten.
    „Tod den Läusen! Tod den Läusen!“ So erklang der Ruf der Dorfbewohner, und die neuen Rekruten stimmten ein, und bald schwoll er zu einem tosenden, fordernden Lärmen an. Fraden riß die rechte Hand nach unten.
    Die Guerillas eröffneten das Feuer auf die Läuse. Salve um Salve jagten sie in die riesigen grünen Achtfüßler. Wieder und wieder und wieder, während die Dörfler sie begeistert anfeuerten. „Tötet die Läuse! Tod den Tötern! Tod den Brüdern! Lang lebe die Freie Republik!“
    Die Läuse fielen auf den Rücken, ihre Beine zappelten in der Luft, dann lagen sie still. In ein paar Augenblicken war alles vorbei, und das Feld war mit zerschmetterten grünen Leibern übersät und von dunkelgrünem Schleim bedeckt. Die Männer, die versucht hatten, die Läuse zu erschlagen, schlossen sich dem Zug an, der sich nun auf das Dorf selbst zubewegte. Sie brüllten: „Lang lebe die Freie Republik! Tod der Brüderschaft! Bart soll leben!“
    Jetzt marschierten sie durch den Kreis der Hütten, und Männer, Frauen und Kinder mit dürren Leibern und aufgeblähten Bäuchen liefen neben dem Zug her. In ihren Augen leuchtete der Haß, und als sie den Dorfplatz erreicht hatten, hatten sich alle Einwohner dort versammelt. Sie schrien: „Tod den Brüdern! Tod den Tötern! Lang lebe die Freie Republik!“
    Fraden genoß den animalischen Zorn. Er bahnte sich einen Weg in die Mitte des erregten Pöbels und bestieg eine alte Kiste, die jemand herbeigeschleppt hatte. Er badete einen Moment lang in den Rufen der Menge, dann hob er die Arme und bedeutete ihr zu schweigen.
    Die Menge gab ihm das Schweigen, um das er sie ersucht hatte, und er wußte, daß sie endlich bereit war, mehr zu geben, alles. Er konnte es in ihren tiefliegenden, blutunterlaufenen Augen lesen und an ihren zusammengepreßten Lippen sehen. Er roch es in ihrem Schweiß. Jetzt endlich folgten sie ihm. Sie warteten darauf, daß er ihnen das sagte, was sie von ihm hören wollten. Sie waren begierig zu kämpfen und begierig zu töten. Er war dieser Art Mob schon früher begegnet, aber nie war er so wild gewesen, so entschlossen, so bereit, dorthin geführt zu werden, wohin er wollte. Die Fesseln waren gesprengt. Der Damm war gebrochen. Jetzt ging es los!
    „ LANG LEBE DIE FREIE

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