Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Gokstadschiffes erhält.«
Das Wetter war weder gut noch schlecht. Zwischendurch nieselte es, und der Erste-Klasse-Salon der Ole Bull war nur etwa zur Hälfte mit Touristen belegt. Dieses Mal schienen alle bis auf das Paar neben Lauritz Engländer zu sein. Seine Nachbarn sprachen ausgeprägten Hamburger Dialekt, und er konnte nicht umhin, ihre Unterhaltung zu belauschen.
Die beiden jungen Leute redeten meist aneinander vorbei. Er hielt einen Vortrag über die Wikinger, während sie überlegte, welche Freunde sie zu ihrem Heimkehrfest einladen sollten und was sie anziehen sollte, falls es nicht auf der Terrasse mit Blick auf die Alster stattfinden konnte. Er kam stur immer wieder auf seine Wikinger zu sprechen.
Ungefähr auf halbem Weg nach Osterøya begann sie, in einer Broschüre zu blättern. Bei einem Blick über ihre Schulter sah Lauritz, dass sie den Absatz mit der Überschrift Osterøya angestrichen hatte.
»Entschuldigen Sie, mein Herr«, sagte sie plötzlich und wandte sich an Lauritz, »verstehen Sie Deutsch?«
»Ja, das könnte man durchaus behaupten«, erwiderte er mit einer ironischen Verbeugung.
»Wie peinlich!«, sagte sie errötend. »Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich mit einem Landsmann spreche. Da Sie allein unterwegs waren, dachte ich …«
»Keine Ursache, gnädige Frau«, antwortete Lauritz, den das Missverständnis amüsierte. »Es ist keine Schande, für einen Norweger gehalten zu werden. Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Die Frage wirkt vielleicht … Sie wissen nicht zufällig, wann wir dort ankommen?«
Sie reichte Lauritz ihre kleine Broschüre und deutete auf
die Überschrift Osterøya . Lauritz hatte das Vergnügen, seine gerade erst erstandene goldene Taschenuhr aus der Westentasche zu ziehen, und ließ sie etwas unroutiniert aufschnappen.
»In einunddreißig Minuten«, teilte er ihr mit. »Sagen Sie, dürfte ich vielleicht einen Blick in Ihre Broschüre werfen?«
Dort wurden die Sehenswürdigkeiten in Bergen und Umgebung beschrieben. Der Text unter der Überschrift Osterøya war kurz, aber sehr informativ. Man erfuhr, wo und zu welchen Zeiten das Dampfschiff Ole Bull ablegte. Über die Insel stand dort nur: »Hier kann man sehr bequem und zu Schleuderpreisen an einem Stand auf dem Landungssteg die sagenhaften Osterøya-Pullover kaufen!«
»Sehr interessant«, sagte er und gab die Broschüre zurück. »Ich vermute, dass Sie auf dem Landungssteg günstig einkaufen wollen?«
»O ja!«, bestätigte die junge Frau eifrig. »Zwei meiner Freundinnen haben letztes Jahr die große Fjordkreuzfahrt gemacht. Als sie zurückkamen, haben wir alle ihre Wolljacken, diese Lusekofter , sehr bewundert. Werden sie immer noch dort verkauft? Entschuldigen Sie, aber es ist vielleicht etwas viel verlangt, dass Sie das wissen.«
»Tja«, meinte Lauritz, »diese Information kann ich Ihnen durchaus geben. Es gibt immer ein ziemliches Gedränge, wenn jeder als Erster am Stand sein will. Und die Waren sind immer recht rasch vergriffen. Ich gebe Ihnen aber gern zwei Minuten vor Ankunft ein diskretes Zeichen, dann können Sie sich unauffällig als Erste zur Gangway begeben.«
»Sie sind zu freundlich, mein Herr! Darf ich so indiskret
sein, Sie zu fragen, was Sie hierher in die Fjordlandschaft verschlagen hat?«
»Ich will meine Mutter und meine Cousinen besuchen, das tue ich um diese Jahreszeit immer«, antwortete Lauritz.
Seine Antwort brachte die deutsche Touristin so aus der Fassung, dass ihr keine spontane Antwort einfiel.
Lauritz war nicht böse über das Schweigen seiner deutschen Reisegesellschaft. Er musste über etwas nachdenken, das seine Ingenieurskompetenz überstieg.
Mutters Pullover und Lusekofter hatten also Berühmtheit erlangt. Sie hießen nach der Insel Osterøya und wurden zu Schleuderpreisen veräußert. Die Touristen fanden, dass sie einen Extra-Ausflug wert waren. Das waren die Fakten der Gleichung.
Aber Betriebswirtschaft war keine Mathematik. Er war etwas auf der Spur, hatte aber keine Ahnung, wie er die Gleichung anpacken sollte.
Aber sein neuer Kompagnon Kjetil Haugen, der künftige Minderheitsaktionär von Lauritzen & Haugen, wusste bestimmt einen Rat.
War es ratsam, den Firmennamen zu ändern? Wenn Oscar und er die Aktienmehrheit besaßen, nachdem die Hornemans alle Anteile verkauft hatten, dann war das doch nur recht und billig. Aber konnte man einen so angesehenen Firmennamen einfach ändern?
Andererseits würden Oscar und er die Firma in solchem Maße
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