Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Leben in Bergen bieten. Ich bin bereits dabei, uns ein Haus einzurichten. Dieses Jahr werde ich zum zweiten Mal um ihre Hand anhalten, wenn ich ihren Vater bei der Regatta in Kiel treffe. Entschuldigen Sie, eine Regatta ist …«
»Ja, ja. Ich weiß natürlich, was eine Regatta ist. Bei Seglerbällen und ähnlichen Veranstaltungen werden Frauen wie Ihre Ingeborg und ich mit passenden Männern verkuppelt. Je hässlicher man ist, so wie ich, desto älter ist der entsprechende Mann. Jetzt wollen Sie sich also humiliieren … Entschuldigung, sagt man so?«
»Ja, ich werde mich zum zweiten Mal erniedrigen.«
»Und wenn der Alte Nein sagt?«
»Dann heiraten wir trotzdem.«
»Excellent! Aber was wollten Sie eigentlich wissen?«
Lauritz war sich plötzlich unsicher. Die Frage war höchst berechtigt. Was wollte er eigentlich wissen?
Der Schneesturm draußen pfiff immer lauter, überall, wo sich der Wind im Haus verfangen konnte, heulte es.
»Es ist mir ein wenig unangenehm«, sagte er. »Andererseits kann mir diese Frage hier in Finse niemand außer Ihnen beantworten. Kann eine Adelige wie Ingeborg auf Dauer mit einem Bürgerlichen wie mir zusammenleben?«
Erst sah sie ihn verblüfft an. Dann brach sie in ein anhaltendes Gelächter aus, das ihn umso verlegener machte, je länger es währte. Sie lachte so sehr, dass sie die Hand nach einer liegen gebliebenen Serviette ausstrecken musste, um sich die Augen zu trocknen.
»Wissen Sie, mein lieber Lauritz«, sagte sie schließlich. »Falls Ingeborg die Frau ist, die Sie mir beschrieben haben, ist das die kleinste Ihrer Sorgen!«
Ein Junge starb im Torbjørnstunnel. Er hatte den bei Tunnelarbeiten fatalsten Fehler begangen und war zu früh nach einer Sprengung zurückgekehrt, um mit dem Beseitigen der Geröllmassen zu beginnen. Ein Felsbrocken hatte sich von der Tunneldecke gelöst und war ihm auf den Kopf gefallen. Es war immer tragisch, wenn ein junger Mensch sein Leben verlor, darin waren sich alle in Finse einig. Und besonders tragisch war es, weil der Unfall so unnötig gewesen war. Beim Sprengen entstand starke Hitze, wenn das Gestein abkühlte, schrumpfte es, und dann kam es zu Steinschlägen, das war hinlänglich bekannt.
Es war Januar, und man konnte sich nur auf Skiern von und nach Finse bewegen. Zu jeder anderen Jahreszeit hätte man den Arbeitern aus Vormann Emund Hamres Gruppe freigegeben. Lauritz empfand eine gewisse beschämende Erleichterung, dass der Unfall nicht in Johan Svenskes Gruppe passiert war. Svenske und er hatten während der bislang drei Jahre dauernden Arbeit an der Kleivebrücke keinen einzigen Mann verloren. Der eine oder andere hatte an dem Sicherheitsseil über dem Abgrund gebaumelt, aber schlimmere Verletzungen als Quetschungen und blaue Flecken hatte es nie gegeben. Auf dem schwierigen Transportweg das Kleivegjelet hinauf war das eine oder andere Fuhrwerk den Abhang hinuntergestürzt, aber auch dabei war niemand zu Tode gekommen oder hatte sich ernsthaft
verletzt. Nur der Verlust einiger Pferde war zu beklagen gewesen.
Die Stimmung in der Torbjørnsbaracke war verständlicherweise düster, als Lauritz dort eintraf. Das lag nicht nur an der Trauer über den verunglückten Arbeitskameraden, sondern auch an der allgemeinen Scham. Sie hätten den Jungen aufhalten müssen, als er sich voller Eifer in den Tunnel begeben hatte. Insbesondere der Vormann hätte diese Verantwortung übernehmen müssen. Dabei hatte es wenig Sinn, sich mit Schuldgefühlen zu quälen. Das Unglück war geschehen, und daran ließ sich nichts ändern.
Da bei den herrschenden Schneeverhältnissen nicht an Beurlaubung zu denken war, blieb ihnen nichts anderes übrig, als weiterzuarbeiten.
Es gab auch ein psychologisches Problem, auch wenn Vormann Hamre es nicht so ausdrückte. Die Frage war, wie mit der Leiche verfahren werden sollte. Der Junge konnte nicht im Tunnel liegen bleiben, bis im Frühjahr wieder Transporte möglich waren, weil es dort zu warm war. Den toten Arbeitskollegen in der Baracke aufzubewahren kam noch weniger infrage. Und wer sollte die Eltern des Toten benachrichtigen? Keiner in der Baracke war ein sonderlich guter Briefeschreiber.
Lauritz war alles andere als erpicht auf diese Aufgabe, ließ sich das aber nicht anmerken. Den Brief an die Eltern des Toten wollte er noch am selben Abend schreiben, damit er ihn am nächsten Tag dem Postboten mitgeben konnte, falls dieser nicht wegen des Schneesturms ausblieb. Die Leiche sollte in eine Persenning
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