Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
verkaufen, wobei sie mit fünfundzwanzig Prozent Provision beteiligt werden sollten. Davon würden alle profitieren. Lauritz’ Mutter musste sich dann nicht mehr um den gesamten Absatz kümmern und würde trotzdem mehr verkaufen. Noch dazu zu einem höheren Preis.
Als dritter Schritt sollte ein Langhaus im Wikingerstil auf dem Frøynes Gård errichtet werden, äußerlich altertümlich, vorzugsweise mit Drachenköpfen und ähnlichen Ornamenten, aber innen modern isoliert und mit großen Fenstern, Beleuchtung und zwei großen offenen Kaminen.
Dort konnte seine Mutter die Arbeit den ganzen Winter über organisieren. Und im Sommer konnte der in der Stadt wohnende, größer werdende Teil der Familie das Langhaus als Sommerhaus nutzen. Jeder Bergener wünschte sich mittlerweile ein Haus auf einer der Inseln, um den Kindern einen gesunden Sommeraufenthalt zu ermöglichen. Auf diese Weise ließen sich laut Kjetil Nutzen und Vergnügen bestens miteinander verbinden.
Es war recht wahrscheinlich, dass sich der Umsatz von Frøynes -Produkten dank dieser Maßnahmen und Investitionen versieben-bis verachtfachen ließ. Aber ebenso wahrscheinlich sei es, räsonierte Kjetil erstaunlich einsichtig, dass all diese Argumente die gottesfürchtige Maren Kristine nur wenig beeindrucken würden. Daher sei es von äußerster Wichtigkeit, und das sei wohl eher Aufgabe des Sohnes als des Kompagnons, ihr folgenden Vorschlag zu machen: Sie sollte alle Nachbarn und Verwandten in die Arbeit einspannen und sie auf diese Weise auch an Gottes Gaben teilhaben lassen. Osterøya war eine sehr arme Insel. Aber bald schon würde es vielen Menschen dort draußen besser gehen. Diesem Umstand konnte sich seine Mutter ja wohl kaum verschließen?
Wohl wahr, das musste Lauritz zugeben. Aber Kjetils materialistische Denkweise, so logisch sie Lauritz auch erschien, lag seiner Mutter sehr fern. Sie sah die Armut als einen zentralen Teil des geistigen Lebens, als handele es sich dabei um eine Segnung Gottes, die nur jenen Menschen zuteilwurde, die er am meisten liebte. »Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.«
Es sei schwer vorherzusagen, wie sie auf diese revolutionierenden
Vorschläge reagieren würde, teilte er Kjetil in seinem Antwortbrief mit. Aber das Bedürfnis, anderen zu helfen, sei auch tief in ihrem streng christlichen Glauben verankert. Er wollte sie daran erinnern, wie ihnen Die gute Absicht in ihrer schwersten Stunde geholfen hatte. Und Gott, der seine Mutter mit dieser künstlerischen Gabe gesegnet habe, konnte nicht missbilligen, dass sie den Cousinen und ihrer Schwägerin Aagot beigestanden hatte. Warum also nicht auch noch anderen Notleidenden in ihrer näheren Umgebung auf der Insel helfen?
Das musste sie überzeugen. Weil er selbst davon überzeugt war.
Nachdem er den Brief an Kjetil beendet hatte, schrieb er noch kurz an seinen Architektenfreund Jens, einen niedrigeren, kompakteren und nordischeren Bahnhof zu entwerfen, allerdings immer noch mit zwei Türmen. In der Haupthalle sollten Reliefs mit nordischen Symbolen angebracht werden, ein Löwe mit einer Axt, ein Rad mit zwei Flügeln – das Wappen der norwegischen Eisenbahn –, und warum nicht gar ein Wikingerschiff oder zwei?
Der nächste Brief ging an die Bank. Danach schrieb er einen weiteren an seinen neuen Freund, den Schiffsbauer Halfdan Michelsen, und abschließend einen an den Seilermeister Christian Cambell Andersen.
Diesen letzten Winter in Finse hatte er hauptsächlich am Schreibtisch verbracht. Es gab keinen Grund, deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben. In dieser Jahreszeit gab es für ihn nichts anderes zu tun, als die Messungen im schwierigen Torbjørnstunnel durchzuführen. Und die Schreibtischtätigkeit trug erste Früchte. Lauritzen & Haugen hatten ihren Umsatz im vergangenen Jahr um 117 Prozent
erhöht, und obwohl das hauptsächlich Kjetils Verdienst war, hatte Lauritz doch aus der Ferne einiges dazu beigetragen.
Jetzt musste er noch ein paar Zeilen an die Segelmacher verfassen, ehe er zu Bett ging. Mittwochs kam der Briefträger immer früh.
Sobald die Schneekruste im Februar hart wurde und auf den Bauernhöfen die Zeit der Futterknappheit anbrach, zog Vormann Hamre jeden Sonntag mit seinen Arbeitern los, um die Leiche von Juel-Hansen zu suchen. Nicht nur aus Pietät und christlicher Nächstenliebe suchte er erst systematisch die Strecke nach Hallingskeid und anschließend in immer weiteren
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