Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Kreisen alle anderen Richtungen ab.
Die Eisenbahngesellschaft hatte dem Finder der Leiche eine Belohnung von 1000 Kronen versprochen, und das auch nicht nur aus Pietät und christlicher Nächstenliebe. Juel-Hansen hatte etwa 25 000 Kronen in einer speziellen, für diesen Zweck gefertigten Geldkassette dabeigehabt, die er an Riemen auf dem Rücken getragen hatte.
Nach einigen Monaten hatten sie ihn noch immer nicht gefunden, aber Hamre gab nicht auf.
Anfang Juni, als die Eiskruste nicht mehr trug und man nur noch mit Skiern vorwärtskam, erschien Hamre eines Sonntagnachmittags unten in Finse und wurde mit feierlicher Miene bei Lauritz vorstellig.
»Ich habe ihn gefunden«, teilte er knapp mit. »Oder zumindest die Geldkassette und seine Skier.«
»Weit weg?«, fragte Lauritz.
»Nein, aber in der falschen Richtung, auf den Finsevand zu. Könnten Sie, Herr Ingenieur, mich mit einem Pulka begleiten, damit wir ihn holen können? Er muss ja wohl irgendwo in der Nähe liegen.«
»Das haben Sie nicht untersucht?«, fragte Lauritz. »Warum nicht?«
»Weil es heißt, dass in der Geldkassette fünfundzwanzigtausend Kronen liegen sollen.«
Anfänglich verstand Lauritz nicht, was er damit sagen wollte, es wurde ihm aber umso klarer, als er den Fundort zusammen mit Hamre, Daniel Ellefsen und zwei Pulkas erreichte. Ein Paar Skier ragte aus dem Schnee, und davor lag eine schwarze Geldkassette, die die Sonne aus dem Schnee geschmolzen hatte.
»Da!«, sagte Hamre und deutete auf seine eigenen Skispuren auf dem Boden. »Da habe ich angehalten, wie ihr sehen könnt, und bin nach Finse zurückgekehrt. Aber jetzt, unter Zeugen, können wir weitergehen.«
Die Geldkassette schien unberührt zu sein, aber sie war nicht verschlossen. Als Lauritz den quietschenden und vereisten Deckel öffnete, sah er, dass sie mit Geldscheinen gefüllt war. Vermutlich die gesamte Summe, denn warum sollte ein Dieb sich nur mit einem Teil begnügen? Lauritz schien es unpassend, das Geld zu zählen, bevor sie Juel-Hansen gefunden hatten. Er oder das, was von ihm noch übrig war, musste irgendwo in der Nähe liegen.
Sie brauchten nicht lange zu suchen. Er lag fünfzig Meter entfernt unterhalb eines großen Felsens, wo er Schutz gesucht hatte. Neben ihm lagen eine halb volle Bierflasche und ein paar Butterbrote. Seltsam war, dass sich Füchse und Raben nicht bedient hatten.
Sie brachten die Leiche und die Geldkassette nach Finse. Im Kontor zählten Lauritz und Daniel der Ordnung halber das Geld. Die Summe stimmte. Es waren 26 403 Kronen. Lauritz schrieb eine Quittung, die er Hamre unterschreiben ließ, und reichte diesem dann 1000 Kronen. Hamre nahm das Geld eher ernst als triumphierend entgegen.
»Was haben Sie mit dem Geld vor, Sie wollen es doch wohl nicht vertrinken?«, versuchte Daniel zu scherzen.
»Nein, ganz sicher nicht, Herr Ingenieur. Die Hälfte wird gespart, die andere Hälfte schicke ich den Eltern des armen Jungen Elling«, antwortete Hamre ernst, zog den Hut und ging.
In der Tür überlegte er es sich noch einmal anders und drehte sich um.
»In die Kneipe gehe ich verdammt noch mal erst nach dem Tunneldurchbruch«, sagte er. »Wir sind zwar die Letzten, aber Mitte Juli sind wir durch, das verspreche ich, und dann wird gefeiert.«
Dann war er weg.
»Wir haben jetzt eine zweite Leiche«, erinnerte Daniel. »Sollen wir sie nach Voss oder nach Haugastøl bringen lassen?«
»Ich weiß nicht«, gab Lauritz zu. »Wir müssen anrufen und nachfragen.«
Es war ein hinreißender Anlick, ein Anblick, den Lauritz Tausende von Malen in seinen Träumen und Wachträumen während der letzten vier Jahre gesehen hatte. Die letzten Gerüste der Kleivebrücke wurden abgebaut. Erst jetzt sah man, wie schön sie war. Der Himmel war hellblau, fast
wolkenlos, und unter der Brücke schäumte der von der Schneeschmelze angeschwollene Wasserfall. Es war ein Wunder, obwohl er immer gewusst hatte, dass es so aussehen würde, und jeden einzelnen Stein im Kopf hatte. Aber Pläne und Wirklichkeit waren nicht dasselbe, und das galt nicht nur für Brücken.
Die Pferdetransporte mit dem Holz der Baugerüste bildeten eine endlose Karawane von der Baustelle hinunter ins Tal. Er wollte bleiben, bis alles abgebaut und nur noch die Brücke zu sehen war. Sie schien zehn Züge aufeinander und vermutlich noch mehr tragen zu können. Trotz ihrer Massivität war sie schön.
Er fragte sich, ob das der größte Augenblick seiner Ingenieurslaufbahn sein würde. Der
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