Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
vorzustellen.
Diese formelle Prozedur zog sich unerträglich in die Länge, aber war natürlich unvermeidlich, da Hunderte Neugieriger auf der Pier standen. Alles musste überaus korrekt vonstattengehen.
»Darf ich vorstellen, mein Freund und Kompagnon Kjetil Haugen von der Bergens Segelselskap . Und meine deutsche Freundin Ingeborg von Freital und ihre beste Freundin Christa Freiherrin von Moltke.«
Handküsse und Verbeugungen.
Danach stellte Lauritz nacheinander Halfdan Michelsen, Jens Kielland und Christian Cambell Andersen vor.
Weitere Handküsse und Verbeugungen.
Als die Begrüßungszeremonie endlich vorüber war, deutete Lauritz mit theatralischer Geste in Richtung der Kajüte. Mit lauter Stimme bat er die Damen, sich jetzt die Salons anzusehen.
Als sie den Achtersalon betraten, entschuldigte sich Lauritz kurz bei Christa und zog Ingeborg an sich. Er küsste sie, und sie küsste ihn, viel zu lange, wenn man bedachte, dass das geschwätzige Publikum auf der Pier vermutlich die Sekunden zählte.
Schließlich zwang sich Ingeborg, Lauritz von sich zu schieben.
»Komm, wir müssen uns rasch wieder oben zeigen!«, mahnte sie und begann eine fröhliche Unterhaltung über irgendwelche Nichtigkeiten mit Christa. Im Cockpit deutete Lauritz vielsagend auf die hübsch verzierte Ruderpinne. Der Traum, über den er so oft geschrieben hatte, war jetzt wahr geworden.
»Habt ihr auf der Heimfahrt noch Platz für eine Dame?«, fragte Ingeborg mit harmloser Miene, als handelte es sich nur um höfliche Konversation.
»Ja, wir haben in der Vorpiek noch einen Winkel frei«, antwortete er im selben Theaterstil.
»Gut«, antwortete sie und tat so, als würde sie etwas Interessantes im Cockpit betrachten. »Denn dieses Mal werde ich mit dir nach Hause fahren. Du musst dich übrigens von Christa verabschieden, denn sie wird morgen zu ihrem Geliebten türmen.«
Lauritz verbeugte sich feierlich vor Christa, wünschte ihr viel Glück auf der Reise und küsste ihr erneut die Hand.
Alle drei sahen ein, dass damit für die unverheirateten
Frauen der Zeitpunkt des Aufbruchs gekommen war. Lauritz eskortierte sie auf Deck und ließ sich von Kjetil dabei helfen, den Bug wieder an die Pier zu ziehen.
»Dieses Mal wohne ich auch im Kaiserhof«, flüsterte er.
»Ich weiß, aber erwarte heute Nacht keinen Besuch«, erwiderte sie flüsternd mit einem höflichen Lächeln. »Wir dürfen das Galadiner morgen nicht gefährden. Vater hat sich noch nicht entschieden.«
»Wovon hängt seine Entscheidung ab?«
»Ich glaube, von der ersten Regatta morgen.«
»Sollen wir gewinnen oder hinter der Kaiserfamilie ins Ziel kommen?«
»Vorzugsweise gewinnen!«
Lauritz sprang auf die Pier und half den beiden Frauen an Land. Diese ergriffen seine Hand und hielten sich mit der anderen am Vorstag fest. Damit war die Visite beendet, ohne auch nur im Ansatz skandalös gewesen zu sein.
Das Gedränge auf der Pier hatte etwas abgenommen, aber weitere Schaulustige strömten herbei, und selbsterklärte Fachleute diskutierten die ungewöhnliche Form der norwegischen Jacht. Ingeborg und Christa spazierten Arm in Arm davon. Sie achteten darauf, nicht miteinander zu sprechen, solange jemand in Hörweite war.
»Als ihr euch geküsst habt, wurde es so heiß, dass ich dachte, ich würde mich verbrennen«, kicherte Christa, als sie sich endlich in Sicherheit wähnten.
»Das ist alles so unwirklich, wie im Traum. Ich frage mich manchmal, ob die Wirklichkeit genauso stark sein wird, wie es die Fantasie ist. Wie lange wir dieses Theater wohl noch spielen und an Deck eilen müssen, damit uns alle anständigen Leute sehen können?«
»Aber gib zu, dass auch das Theater wahnsinnig spannend ist.«
Vor dem Hotel verabschiedeten sie sich. Ihnen blieben noch anderthalb Stunden zum Umziehen. Ihre Väter luden am ersten Abend vor Beginn der Regatten immer ihre engsten Freunde zu einem kleinen Büfett ein. Derartige Veranstaltungen durften junge, unverheiratete Frauen auf keinen Fall schwänzen. Graf von Moltke hatte drei unverheiratete Töchter, einschließlich der starrköpfigen Christa. Was Letztere betraf, hatte er seine Hoffnungen fast schon aufgegeben. Die Jugend der neuen Zeit wurde in erschreckendem Maße von aufrührerischen Ideen geprägt, die wie eine Seuche um sich griffen. Sie konnten wie die Pest jeden ereilen, einfache Leute und Adlige. Schade nur, dass seine älteste Tochter zu denen gehörte, die sich angesteckt hatten.
Als Christa am nächsten Morgen
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