Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
glattem Mahagoni besteht, ist mit weißer, rauer Farbe bemalt. Nicht schön, aber praktisch.«
»Wieso das?«, fragte sie jetzt ganz aufrichtig.
»Das ist praktisch für die Besatzung. Nasses lackiertes Mahagoni ist, entschuldigen Sie den Ausdruck, teuflisch glatt. Wenn man eilig die Vorsegel wechseln muss, renne ich jedenfalls lieber auf einer rauen Fläche als auf einer schönen.«
»Ich verstehe. Fällt Ihnen sonst noch etwas Besonderes an dieser norwegischen Jacht auf?«
»Ja, die Form! Sie ist viel schmaler, außerdem ragt der Bug weiter aus dem Wasser. Vermutlich wiegt sie weniger als die anderen teilnehmenden Jachten. Ich würde sie mir gerne mal im Trockendock anschauen, bin mir verflucht sicher, verzeihen Sie den Ausdruck, dass auch der Kiel eine andere Form hat. Sehr interessant!«
Sie wurden unterbrochen. Matrosen gingen herum und hielten Tafeln mit dem Zwischenstand nach der Umrundung der ersten Bahnmarke in der Hand:
Meteor
Ran
Spokane
Friedrich der Große
The Golden Eagle
Iduna
Angela
Ellida
Samoa III
Walküre
Bertha
»Mein Vater liegt auf Platz acht«, stellte Ingeborg fest. »Seine übliche Platzierung. Und Kruppie mit seiner Bertha ist sowieso immer der Letzte. Aber die Norweger sind also jetzt vom letzten auf den zweiten Platz aufgerückt?«
»Ja, sie wussten vermutlich genau, was sie taten, als sie als Letzte über die Startlinie gegangen sind und einen anderen Kurs gewählt haben. Aber nun wird also gekreuzt, da werden sich sämtliche Positionen verändern. Da holt die kaiserliche Familie immer auf. Aber jetzt muss ich wirklich um Entschuldigung bitten, gnädigste Baronin.«
»Wieso? Sie haben doch wirklich keinen Grund, sich zu entschuldigen, Herr Leutnant«, erwiderte Ingeborg aufrichtig erstaunt, da sie nicht erwartet hatte, dass er sein Missgeschick so rasch eingestehen würde.
Wahrscheinlich lag es daran, dass sie den Spitznamen Kruppie gebraucht hatte, den niemand verwenden würde, der nicht familiären Umgang mit der Familie Krupp pflegte.
»Ich muss noch einmal um Entschuldigung bitten, gnädige Baronin, dass ich erst jetzt schalte, dass Sie Baron von Freitals Tochter sind. Sehr angenehm, mein Name ist Ernst Wolf.«
»Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Leutnant Wolf. Aber sagen Sie mir, was passiert jetzt?«, fragte sie, als wüsste sie es nicht.
»Jetzt steht die lange Strecke gegen den Wind an, da trennt sich sozusagen die Spreu vom Weizen. Die Hohenzollern dreht nun langsam Richtung Kiel bei, damit wir aus perfekter Perspektive mit ansehen können, wie die Jachten bei achterlichem Wind zurückkehren. Die Ballonsegel bieten einen wunderbaren Anblick.«
»Ich vermute, dass es bald Zeit für das Mittagessen ist. Ich habe einen reservierten Platz. Würden Sie mir die Freude machen, Leutnant Wolf, an der Tafel den Platz meiner Freundin Christa von Moltke einzunehmen?«
Das war ein teuflischer Streich, das wusste sie. Allen würden die Augen aus dem Kopf fallen, wenn sie neben einem Besatzungsmitglied Platz nahm.
»Diese freundliche Einladung ehrt mich natürlich außerordentlich, gnädige Baronin, aber mein Dienst macht es mir leider unmöglich. Nach dem Mittagessen kehre ich gerne wieder hierher zurück. Auf der letzten Strecke werden die Jachten einen wunderbaren Anblick bieten, das kann ich Ihnen versichern.«
Er erhob sich, salutierte und ging seines Weges.
Der Unterschied ist, dachte Ingeborg, dass es in Norwegen keine Klassenunterschiede gibt. Es gab weder niederen Adel, von Prinzen, Herzögen, Grafen und Baronen ganz zu schweigen. Das war ihr sehr sympathisch. So sollte die Zukunft aussehen. In dem neuen großen Jahrhundert würde nicht nur die Frau von dieser Hackordnung befreit werden, sondern auch der Mann.
Lauritz war der erste Mann, dem sie je begegnet war, der mit ihr wie mit einer Gleichberechtigten gesprochen hatte, wie mit einem Mann, als wären ihre Worte und Gedanken von Bedeutung. Und er befürwortete, dass Frauen den Arztberuf ergreifen konnten, allein so etwas.
Ja, allein so etwas. Als sie sich an der medizinischen Fakultät in Dresden beworben hatte, hatte man eine Delegation nach Hause zu ihrem Vater geschickt, um in aller Diskretion dieser Dummheit, dieser weiblichen Laune, wie es einer von ihnen ausgedrückt hatte, einen Riegel vorzuschieben.
Ihr Vater war zornig gewesen, und zwar nicht auf die Fakultät, sondern auf sie.
Zwischendurch hatte sie befürchtet, Lauritz mehr aus prinzipiellen oder politischen Gründen als von Herzen zu
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