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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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erneuten Sieg der Ran ausgegangen war, hatte er auch nicht protestiert. Vermutlich war auch das ein gutes Zeichen.

    Die Norweger auf der Ran siegten am zweiten Tag noch überwältigender, ganze sechsundzwanzig Minuten vor dem Zweitplatzierten glitten sie über die Ziellinie. Vor dem Start war man gemeinhin davon ausgegangen, dass es an diesem Tag einen kaiserlichen Sieg geben würde, da die Bahn am zweiten Tag länger war und zwei Gegenwindstrecken aufwies. Beim Kreuzen gegen den Wind kam es allein auf Geschicklichkeit an, und die Besatzungen der kaiserlichen Familie setzten sich aus den besten Seglern Deutschlands zusammen. Es war natürlich eine große Ehre, auf einer kaiserlichen Jacht segeln zu dürfen. Viele hätten ihren rechten Arm für ein solches Angebot gegeben, das viele Türen in die bessere Gesellschaft öffnete.
    Die Norweger segelten mit ihrem überdimensionierten
und ostentativen Spinnaker jedoch beim Kreuzen noch schneller als bei achterlichem Wind.
    Lauritz und seine Besatzung fanden sich, tadellos gekleidet in weißen Hosen, Seglerschuhen und kobaltblauen Jacketts, weißen Hemden mit schmalen Krägen und schwarzen Schlipsen, zum von-freitalschen Diner ein. Erleichtert stellte Ingeborg fest, dass sie nicht in Frack erschienen waren. Aber Lauritz war ja inzwischen mit den Sitten und Gebräuchen der Seglerfamilien vertraut.
    Außerdem waren die Norweger ungezwungen und nett und sprachen hervorragend Deutsch, der Architekt namens Jens mit Berliner Akzent. Bereits beim Willkommenstrunk hatte Ingeborg das Gefühl, dass es ein gelungener Abend werden würde. Für gewöhnlich waren die Gäste bei den Seglerdiners angespannt und nervös, aber bei den Norwegern war keine Spur dieser Unruhe festzustellen.
    Ingeborg vermutete, dass dies daran lag, dass die Norweger im Umgang viel offener und entspannter waren als die Deutschen. Die meisten Norweger duzten einander brüderlich. In Norwegen wusste keiner, was ein Baron war. Vielleicht waren die Norweger geradezu ein leuchtendes Vorbild für das neue, bald demokratische Europa.
    Ihr Vater hielt eine lange und beinahe panegyrische Willkommensrede. Er betonte einleitend, es sei eine Ehre, mit den besten Seglern, denen er je auf dem Meer begegnet sei, zu Tisch zu sitzen.
    Ein so uneingeschränktes Lob hatte sie von ihrem Vater noch nie gehört, nicht einmal gegenüber den kaiserlichen Jachten.
    Nach weiteren Lobesworten wandte sich ihr Vater mit einem Weinglas in der Hand an Lauritz, ein Zeichen dafür,
dass die Rede ihrem Ende entgegenging und dass Lauritz ein besonders wichtiger Gast war. Leider wurde seine Rede jetzt etwas kryptisch.
    »Dem Steuermann der Ran will ich nur sagen, dass dies ein unerwartetes Wiedersehen ist, auch wenn Sie hier im Haus als ein nicht immer willkommener Gast aus und ein gegangen sind.«
    Darauf prostete ihr Vater zuerst Lauritz, dann den übrigen Gästen und schließlich mit einer leichten Verneigung Ingeborg und ihrer Mutter zu.
    »Wie ist das zu verstehen?«, fragte Lauritz flüsternd seine Tischdame Ingeborg.
    »›Unerwartetes Wiedersehen‹ bedeutet dramatische Veränderung, ›nicht immer willkommen‹ ist eine versteckte Entschuldigung«, erwiderte Ingeborg rasch, ebenfalls flüsternd.
    Für ein einfaches Essen im Familienkreise war das Mahl, insbesondere aus norwegischer Sicht, sehr üppig. Nach den ersten drei Gängen, Hummer, Lachs und Seezunge mit Weinen vom Rhein, von der Mosel und aus Franken, ging es zum ernsthaften Teil des Mahles mit Hirsch und Wildschwein und zwei verschiedenen Burgundern über, abschließend gab es Käse und Dessert und dazu einen Eiswein. Zusammengenommen dauerte das Mahl mehrere Stunden.
    Jens Kielland, der die Gastgeberin, eine sehr schöne Frau, die nur selten etwas sagte, zu Tisch geführt hatte, dankte zum Abschluss der Mahlzeit für die Einladung und erläuterte, dass die Norweger nach einem so üppigen Festmahl mindestens zwei Wochen lang nicht segeln könnten, jetzt seien sie also unschädlich gemacht worden.
    Für Ingeborg war es eines der wunderbarsten Diners, die sie je erlebt hatte, selbst das konventionelle Essen, das von den livrierten Kellnern des Hotels aufgetragen wurde, mundete ihr wunderbar. Sie hatte ihr linkes Bein unter dem weit herabreichenden Tischtuch über Lauritz’ rechtes gelegt.
    Ihr einziges und im Verlauf des Essens zunehmendes Unbehagen war, dass sich nach Ende der Mahlzeit Männer und Frauen trennen würden. Von den Frauen, jungen wie alten, wurde erwartet, dass sie

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