Die Brüder Karamasow
Abt trat in die Mitte des Zimmers, um die Gäste zu begrüßen. Er war ein hochgewachsener, hagerer, aber noch kräftiger alter Mann, mit schwarzem, schon stark mit Grau vermischtem Haar und einem langen, würdevollen, etwas wichtigtuerischen und förmlichen Gesicht. Er verbeugte sich schweigend vor den Gästen, die nun vortraten, um den Segen zu empfangen. Miussow wollte ihm schon die Hand küssen, doch der Abt zog sie zurück, und der Kuß kam nicht zustande. Dafür ließen sich Iwan Fjodorowitsch und Kalganow diesmal in aller Form segnen, das heißt mit einem treuherzigen, hörbaren Handkuß nach Art des einfachen Volkes.
»Wir müssen sehr um Entschuldigung bitten, Hochehrwürden«, begann Pjotr Alexandrowitsch mit einem liebenswürdigen Lächeln, aber in würdigem, respektvollem Ton, »daß wir allein erscheinen, ohne unseren ebenfalls geladenen Gefährten Fjodor Pawlowitsch. Er sah sich genötigt, Ihrem Tisch fernzubleiben, und das nicht ohne Grund. In seinem unseligen Hader mit seinem Sohn ließ er sich in der Zelle des ehrwürdigen Vaters Sossima zu einigen ganz unpassenden ... kurz gesagt, zu ganz unanständigen Äußerungen hinreißen!« Und, mit Blick auf die Priestermönche: »Was Euer Hochehrwürden bereits bekannt sein dürfte ... Von Schuldgefühl und aufrichtiger Reue erfüllt, schämte er sich. Und da er dieses Gefühl nicht überwinden konnte, bat er uns, mich und seinen Sohn Iwan Fjodorowitsch, Ihnen sein aufrichtiges Bedauern, seinen Kummer und seine Reue auszudrücken. Kurz, er hofft und beabsichtigt, später alles wiedergutzumachen; jetzt aber erfleht er Ihren Segen und bittet Sie, das Vorgefallene zu vergessen ...«
Miussow schwieg. Bei den letzten Worten seiner Tirade angelangt, war er mit sich äußerst zufrieden, und zwar dermaßen, daß in seiner Seele von der früheren Gereiztheit auch nicht die Spur zurückgeblieben war. Er liebte die Menschen jetzt wieder aufrichtig.
Der Abt, der ihn würdevoll angehört hatte, neigte leicht den Kopf und erwiderte: »Ich bedauere sein Nichterscheinen von ganzem Herzen. Vielleicht hätte er uns beim gemeinsamen Mahl liebgewonnen, ebenso wie wir ihn. Haben Sie nun die Güte zu speisen, meine Herren!«
Er trat vor das Heiligenbild und begann laut ein Gebet zu sprechen. Alle neigten ehrfurchtsvoll die Köpfe, und der Gutsbesitzer Maximow trat besonders weit vor und legte aus besonderer Andacht die Hände mit den Innenflächen vor der Brust zusammen.
Und ausgerechnet in diesem Augenblick erlaubte sich Fjodor Pawlowitsch seinen letzten Streich. Es sei bemerkt, daß er tatsächlich wegfahren wollte und tatsächlich empfand, wie unmöglich es wäre, nach seinem schmählichen Benehmen in der Zelle des Starez nun zum Abt zum Essen zu gehen, als ob nichts geschehen wäre. Nicht daß er sich besonders geschämt und schuldig gefühlt hätte, vielleicht war sogar das Gegenteil der Fall; aber er spürte doch, daß es sich einfach nicht gehörte, jetzt an dem Mittagessen teilzunehmen. Kaum war jedoch sein klappernder Wagen vor der Tür des Gasthauses vorgefahren, als er, schon im Begriff einzusteigen, auf einmal innehielt. Ihm waren seine eigenen Worte vor dem Starez eingefallen: ›Wenn ich irgendwo unter Leuten bin, scheint es mir immer, als sei ich gemeiner als sie, als hielten mich alle für einen Possenreißer. Und dann sage ich mir: Also gut, spiele ich eben den Possenreißer, ich fürchte mich nicht vor eurem Urteil, ihr seid doch allesamt gemeiner als ich!‹ Er bekam Lust, sich an allen für seine eigene Niedertracht zu rächen. Er erinnerte sich bei dieser Gelegenheit, wie er einmal, schon vor langer Zeit gefragt worden war: ›Warum hassen Sie den und den so?‹ und wie er damals in einem Anfall seiner possenreißerischen Schamlosigkeit geantwortet hatte: ›Ich will Ihnen sagen, warum. Er hat mir zwar nichts getan, aber dafür habe ich eine gewissenlose Gemeinheit gegen ihn begangen, und kaum hatte ich die begangen, fing ich sofort an, ihn zu hassen.‹ Als ihm jetzt diese Erinnerung kam, lächelte er, kurz nachdenkend, leise und boshaft vor sich hin. Seine Augen funkelten, und seine Lippen zuckten. ›Wenn man eine Sache einmal angefangen hat, so muß man sie auch zu Ende führen‹, sagte er sich plötzlich. Sein geheimstes Gefühl in diesem Augenblick hätte man mit folgenden Worten ausdrücken können: ›Rehabilitieren kann ich mich jetzt doch nicht mehr – da will ich sie wenigstens schamlos verhöhnen; zeigen will ich ihnen: Ich schäme mich vor
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