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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Urteil ab. Über einen Punkt!« sagte er zu mir, als ob jetzt alles von mir abhinge. »Meine Frau, meine Kinder! Meine Frau wird vielleicht vor Kummer sterben, und meine Kinder sind dann lebenslänglich die Kinder eines Sträflings, selbst wenn sie den Adel und ihr Vermögen nicht verlieren. Und was für ein Andenken hinterlasse ich in ihren Herzen, was für ein Andenken!«
    Ich schwieg.
    »Wie soll ich mich von ihnen trennen, sie für das ganze Leben verlassen! Für das ganze Leben, für das ganze Leben!«
    Ich saß da und flüsterte still für mich ein Gebet. Dann stand ich auf, mir war schrecklich zumute.
    »Nun«, fragte er und sah mich gespannt an.
    »Gehen Sie hin«, sagte ich, »und bekennen Sie es den Menschen! Alles wird vorübergehen, nur die Wahrheit wird bestehenbleiben. Wenn Ihre Kinder herangewachsen sind, werden sie verstehen, wieviel Hochherzigkeit in Ihrem großen Entschluß gelegen hat.«
    Er verließ mich damals, anscheinend fest entschlossen. Doch über zwei Wochen kam er Abend für Abend weiterhin zu mir; immer bereitete er sich noch vor, immer konnte er sich noch nicht entschließen. Mein Herz wurde von diesem Anblick ganz bedrückt.
    So kam er einmal mit entschlossener Miene und sagte ergriffen: »Ich weiß, daß für mich das Paradies anbrechen wird, sowie ich nur mein Verbrechen gestanden habe. Vierzehn Jahre habe ich in der Hölle zugebracht. Ich will leiden. Ich werde das Leid auf mich nehmen und erst dadurch wahrhaft zu leben anfangen. Mit der Unwahrheit kann man durch die ganze Welt wandern, aber nicht zurückkehren, sagt das Sprichwort. Jetzt darf ich meinen Nächsten nicht lieben, nicht einmal meine eigenen Kinder. O Gott, vielleicht werden gerade meine Kinder einst begreifen, wie schwer mein Leid gewesen ist, und mich nicht verdammen! Gott ist nicht mit den Starken, sondern mit den Aufrichtigen!«
    »Alle werden für Ihre mutige Tat Verständnis haben«, sagte ich zu ihm. »Wenn nicht gleich, so doch später. Denn Sie haben der Wahrheit gedient, der höchsten, himmlischen Wahrheit ...«
    Und wieder ging er scheinbar getröstet von mir. Aber am folgenden Tag erschien er wieder mit gereiztem, blassem Gesicht und redete in spöttischem Ton: »Jedesmal, wenn ich zu Ihnen komme, sehen Sie mich neugierig an, als ob Sie mich fragen wollten: Hat er sich immer noch nicht entschlossen? Immer noch nicht gestellt? So warten Sie doch noch ein Weilchen, und verachten Sie mich nicht allzusehr! Das ist nicht so leicht auszuführen, wie Sie denken. Vielleicht tue ich es überhaupt noch nicht. Werden Sie mich dann denunzieren, wie?«
    Dabei wagte ich ihn mitunter gar nicht anzusehen, geschweige denn mit dummer Neugier. Ich war so zerquält, daß ich beinah krank wurde; nicht einmal nachts konnte ich mehr schlafen.
    »Ich komme eben von meiner Frau«, fuhr er fort. »Verstehen Sie überhaupt, was das heißt: eine Frau haben? Als ich wegging, riefen mir die Kinderchen zu: ›Adieu, Papa, kommen Sie recht bald wieder und lesen Sie uns etwas Schönes vor!‹ Nein, Sie haben dafür kein Verständnis! Wer könnte auch fremdes Leid nachfühlen!«
    Seine Augen funkelten, seine Lippen zuckten. Auf einmal schlug er mit der Faust so heftig auf den Tisch, daß die darauf befindlichen Gegenstände in die Höhe sprangen – es war das erste Mal, daß dieser sanfte Mensch sich vor mir so gehenließ.
    »Ist das alles denn überhaupt nötig?« rief er. »Muß es denn sein? Es ist ja niemand verurteilt worden. Niemand wurde um meinetwillen zur Zwangsarbeit nach Sibirien geschickt. Der Diener ist an einer Krankheit gestorben. Und für das vergossene Blut habe ich durch meine Qualen genug gebüßt. Und man würde mir auch gar nicht glauben, keinen meiner Beweise wird man gelten lassen. Ist es nötig, daß ich mich stelle, wirklich nötig? Ich bin bereit, mich zur Strafe für das vergossene Blut noch mein ganzes restliches Leben zu quälen, nur um nicht meine Frau und meine Kinder zugrunde zu richten. Wäre das gerecht, wenn ich sie mit ins Verderben ziehe? Irren wir uns da nicht? Wo ist da Recht und Gerechtigkeit? Würden die Menschen meine Wahrheitsliebe überhaupt anerkennen, schätzen, ehren?«
    ›O Gott‹, dachte ich bei mir, ›in so einem Augenblick denkt er noch an die Achtung der Menschen!‹ Und er tat mir so leid, daß ich gern sein Los mit ihm geteilt hätte, wenn ich es ihm dadurch hätte erleichtern können. Ich sah, daß er überaus erregt war, und war zutiefst erschrocken, weil ich nicht mehr allein mit

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