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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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daß sich selbst der verderbteste Reiche bei uns schließlich vor dem Armen seines Reichtums schämt, während ihm der Arme angesichts dieser Demut verständnisvoll den Vorrang läßt und mit Freude und Freundlichkeit antwortet. Glaubt mir, dahin wird es kommen, dahin geht die ganze Entwicklung! Nur in der geistigen Würde des Menschen besteht die Gleichheit, und das wird man nur bei uns begreifen. Könnten wir Brüder sein, dann gäbe es auch eine Bruderschaft. Ehe sich diese jedoch nicht einstellt, teilen sie nie untereinander. Wir bewahren das Vorbild Christi, und wie ein kostbarer Diamant wird es der ganzen Welt leuchten ... Amen, es soll also geschehen! Meine Väter und Lehrer, ich hatte einmal ein ergreifendes Erlebnis. Auf meinen Pilgerreisen traf ich eines Tages in der Gouvernementsstadt K. meinen früheren Burschen Afanassi; seit ich mich von ihm getrennt hatte, waren damals schon acht Jahre vergangen. Er sah mich zufällig auf dem Markt – mein Gott, wie er sich freute! Er stürzte nur so auf mich los: »Väterchen, gnädiger Herr, sind Sie es denn auch? Sehe ich Sie wirklich wieder?« Er nahm mich mit zu sich nach Hause. Er war inzwischen aus dem Militär entlassen, hatte geheiratet und war Vater von zwei kleinen Kindern. Er lebte mit seiner Frau von einem kleinen Handel auf dem Markt, wo er immer nur eine Kiepe voll Ware feilbot. Sein Stübchen war ärmlich, aber sauber und freundlich. Er nötigte mich, Platz zu nehmen, stellte den Samowar auf und ließ seine Frau holen, als hätte ich ihm durch mein Erscheinen einen Festtag bereitet. Er zeigte mir seine Kinderchen und bat: »Segnen Sie sie, Väterchen!« – »Kommt es mir zu, sie zu segnen?« antwortete ich ihm. »Ich bin ein einfacher, demütiger Mönch. Ich werde für sie beten. Und auch für dich, Afanassi Pawlowitsch, bete ich seit jenem Tag immerzu, jeden Tag. Denn von dir hat alles seinen Anfang genommen.« Und ich erklärte ihm das, so gut ich es vermochte. Er war ganz fassungslos; er sah mich immer nur an und konnte es gar nicht begreifen, daß ich, sein früherer Herr, ein Offizier, nun so und in solcher Tracht vor ihm stand. Er brach sogar in Tränen aus. »Warum weinst du?« sagte ich zu ihm. »Du unvergeßlicher Mensch! Freu dich vielmehr von Herzen über mich, du Lieber, mein Weg ist freudig und hell!« Er sprach nicht viel, sagte immer nur »Ach« und »Oh« und schüttelte gerührt über mich den Kopf. »Wo ist denn Ihr Reichtum geblieben?« fragte er. Ich antwortete ihm: »Den habe ich dem Kloster gegeben, wir leben in Gütergemeinschaft.« Nachdem wir Tee getrunken hatten, begann ich mich von ihnen zu verabschieden, und auf einmal gab er mir einen halben Rubel als Spende für das Kloster. Dann spürte ich, wie er mir noch einen zweiten halben Rubel in die Hand schob, dazu sagte er hastig: »Das werden Sie als Wanderer und Pilger vielleicht gebrauchen können, Väterchen!« Ich nahm seinen halben Rubel, verbeugte mich vor ihm und seiner Frau, ging erfreut weg und dachte: ›Jetzt werden wir beide, er bei sich zu Hause und ich unterwegs, gewiß erstaunt lächeln und heiter den Kopf wiegen in dem Gedanken, wie wunderbar Gott uns wieder zusammengeführt hat ...‹ Und seitdem habe ich ihn nie wieder zu sehen bekommen. Ich war sein Herr gewesen und er mein Diener; doch nun, da wir uns voller Liebe und Rührung geküßt hatten, war zwischen uns die große menschliche Vereinigung geschehen. Ich habe darüber viel nachgegrübelt und denke jetzt so darüber: Ist es für den Verstand wirklich so unbegreiflich, daß sich diese große, ehrliche Vereinigung bei uns Russen zu ihrer Zeit allerorten vollziehen kann? Ich glaube, daß sie sich vollziehen wird und daß der Zeitpunkt nahe ist.
    Über die Dienstboten sei noch folgendes hinzugefügt. Als ich noch ein Jüngling war, habe ich mich oft über die Dienstboten geärgert, die Köchin hatte das Essen zu heiß auf den Tisch gebracht, der Bursche meine Kleider nicht gereinigt. Damals jedoch erleuchtete mich plötzlich ein Wort meines lieben Bruders, das ich von ihm in der Kindheit gehört hatte: »Bin ich es denn wert, daß mir ein anderer dient? Und habe ich das Recht, ihn wegen seiner Armut und Unwissenheit anzufahren?« Und ich staunte damals, wie spät sich oftmals die einfachsten, einleuchtendsten Gedanken in unserem Verstand durchsetzen. Ohne Diener geht es nun einmal in der Welt nicht – handle aber wenigstens so, daß sich dein Diener bei dir seelisch freier fühlt, als wenn er nicht dein

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