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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Rakitin, ich versichere dir, ich hatte das schon vergessen«, rief Aljoscha. »Du hast mich erst wieder daran erinnert ...«
    Rakitin jedoch kannte in seiner Wut keine Grenzen mehr.
    »Hol‹ euch samt und sonders der Teufel!« brüllte er plötzlich. »Warum, zum Teufel, habe ich mich bloß mit dir abgegeben? Von nun an will ich dich nicht mehr kennen. Geh du allein, da ist dein Weg!«
    Er bog mit einer kurzen Wendung in eine andere Straße ein und ließ Aljoscha in der Dunkelheit stehen.
    Aljoscha verließ die Stadt und ging über das Feld zum Kloster.
4. Die Hochzeit zu Kana in Galiläa
    Es war nach klösterlichen Begriffen schon sehr spät, als Aljoscha in der Einsiedelei eintraf; der Pförtner ließ ihn durch einen besonderen Eingang herein. Es schlug schon neun Uhr die Stunde allgemeiner Erholung und Ruhe nach dem für alle aufregenden Tag. Aljoscha öffnete schüchtern die Tür und betrat die Zelle des Starez, in der jetzt sein Sarg stand. Außer Vater Paissi, der einsam das Evangelium las, und dem jungen Novizen Porfiri, den das nächtliche Gespräch und die Unruhe des Tages ermüdet hatten und der nun im Nebenzimmer auf dem Fußboden den festen Schlaf der Jugend schlief, war niemand in der Zelle. Obwohl Vater Paissi Aljoscha kommen hörte, sah er ihn nicht einmal an. Aljoscha begab sich in die Ecke rechts von der Tür und begann zu beten. Seine Seele war übervoll, aber von unklaren Empfindungen, von denen keine einzige deutlich hervortrat; vielmehr verdrängte immerzu eine die andere in einem stillen, gleichmäßigen Kreislauf. Aber ihm war seltsam und froh zumute, und Aljoscha wunderte sich darüber nicht. Wieder sah er diesen Sarg und ganz verhüllt diesen teuren Toten vor sich, doch das nagende, quälende Mitleid vom Vormittag war nicht mehr in seiner Seele. Noch bevor er in die Ecke ging, war er vor dem Sarg wie vor einem Heiligtum niedergefallen: Freude, helle Freude hatte seinen Geist und sein Herz erleuchtet. Das Fenster der Zelle war geöffnet, die Luft war frisch und kühl. ›Also ist der Geruch noch stärker geworden, wenn man sich entschlossen hat, das Fenster aufzumachen!‹ dachte Aljoscha. Aber auch dieser Gedanke an den Leichengeruch, ein Gedanke, der ihm noch vor kurzem so schrecklich und entehrend erschienen war, betrübte und empörte ihn jetzt nicht mehr wie vordem. Er begann still zu beten, merkte jedoch bald selbst, daß er fast nur mechanisch betete. Bruchstücke von Gedanken glimmten in seiner Seele wie Sternchen und erloschen sogleich wieder, von anderen abgelöst aber dafür fühlte er sich innerlich gefestigt und getröstet, und dessen war er sich selbst wohl bewußt. Manchmal setzte er in seiner Begeisterung zum Gebet an: Es verlangte ihn innig zu danken und zu lieben. Doch sobald er ein solches Gebet begonnen hatte, ging er geistig plötzlich zu etwas anderem über, versank in Gedanken und vergaß das Gebet ebenso wie das, wodurch es unterbrochen worden war. Er wollte zuhören, was Vater Paissi vorlas, verfiel aber vor Ermüdung allmählich in einen Halbschlummer ...
    »Und am dritten Tage ward eine Hochzeit zu Kana in Galiläa«, las Vater Paissi, »und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger wurden auch auf die Hochzeit geladen ...«
    Eine Hochzeit? Wie kommt das? Eine Hochzeit ... So ging es durch Aljoschas Kopf. Auch sie ist glücklich ... Sie ist zu einem Fest gefahren ... Nein, sie hat kein Messer mitgenommen, ein Messer hat sie nicht mitgenommen ... Das war nur so ein verzweifeltes Wort ... Nun, verzweifelte Worte muß man verzeihen, unbedingt verzeihen. Verzweifelte Worte trösten die Seele ... Ohne sie wäre das Leid für die Menschen gar zu schwer zu ertragen. Rakitin ist in eine Seitengasse eingebogen. Solange Rakitin an die erlittenen Kränkungen denken wird, wird er immer in eine Seitengasse einbiegen. Aber der Weg ... Der breite, gerade, helle kristallklare Weg und die Sonne an seinem Ende ... Oh, was wird da gelesen?
    »Und da es an Wein gebrach, spricht die Mutter Jesu zu Ihm: Sie haben nicht Wein«, hörte Aljoscha die Stimme des Vorlesenden. Ach ja, ich habe da etwas nicht beachtet und wollte es doch beachten, ich liebe diese Stelle! Das war zu Kana in Galiläa, das erste Wunder ... Nicht das Leid, sondern die Freude der Menschen suchte Christus auf, als Er sein erstes Wunder tat, ihrer Freude war Er behilflich ... »Wer die Menschen lieht, der liebt auch ihre Freude«, das wiederholte der Verstorbene fortwährend, das war einer seiner wichtigsten

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