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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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eine Zusammenkunft in dem Restaurant zustande zu bringen. Die Wirtsleute, bei denen Dmitri wohnte, verheimlichten befehlsgemäß seinen Aufenthaltsort. Er hatte sich während dieser beiden Tage buchstäblich nach allen Seiten gedreht und gewendet, »mit seinem Schicksal kämpfend und bemüht, sich zu retten«, wie er selbst sich später ausdrückte. Er hatte in einer dringenden Angelegenheit sogar für einige Stunden die Stadt verlassen, obwohl es ihm furchtbar war, wenn Gruschenka auch nur eine Minute unbeaufsichtigt zurückblieb. Alles dies wurde später in allen Einzelheiten durch unwiderlegliche Beweise festgestellt; jetzt beschränken wir uns auf die notwendigsten Tatsachen dieser zwei Tage seines Lebens, die der plötzlich über ihn hereinbrechenden schrecklichen Katastrophe vorausgingen.
    Zwar hatte ihn Gruschenka eine Stunde lang wirklich und aufrichtig geliebt, doch hatte sie ihn gleichzeitig oftmals grausam und erbarmungslos gequält. Die Hauptsache war, daß er nichts von ihren Absichten zu erraten vermochte; auch mit Freundlichkeit oder Gewalt war aus ihr nichts herauszulocken. Sie hätte sich um keinen Preis zu einer Äußerung bewegen lassen, sondern wäre nur zornig geworden und hätte sich gänzlich von ihm abgewandt: das begriff er damals deutlich. Zugleich vermutete er sehr richtig, daß sie sich selbst in einem inneren Kampf, im Zustand außerordentlicher Unentschlossenheit befand, daß sie sich zu etwas entschließen mußte und sich dennoch nicht entschließen konnte. Daher nahm er schweren Herzens an, daß sie ihn mitsamt seiner Leidenschaft zeitweilig geradezu hassen mußte. So war es vielleicht auch; aber was Gruschenka eigentlich bedrückte, ahnte er doch nicht. Ihn quälte, strenggenommen, nur die Alternative: entweder er, Mitja, oder Fjodor Pawlowitsch. Er war übrigens fest davon überzeugt, daß Fjodor Pawlowitsch ihr die gesetzliche Ehe vorschlagen würde – wenn er es nicht schon getan hatte –, und er glaubte keinen Augenblick, daß der alte Lüstling lediglich mit dreitausend Rubeln zum Ziel zu kommen hoffte. Zu dieser Ansicht war Mitja gelangt, weil er Gruschenka und ihren Charakter kannte. Das war auch der Grund, weshalb er sich mitunter einredete, Gruschenkas Qual und ihre ganze Unentschlossenheit käme nur daher, daß sie nicht wußte, wen von ihnen beiden sie wählen sollte, wer von ihnen für sie wohl vorteilhafter wäre. An eine baldige Rückkehr des »Offiziers« aber, jenes Menschen, dessen Ankunft sie mit solcher Unruhe und Angst erwartete, dachte er in jenen Tagen merkwürdigerweise überhaupt nicht. Zwar hatte sich Gruschenka zu diesem Punkt ihm gegenüber in den letzten Tagen sehr schweigsam gezeigt, doch hatte er aus ihrem eigenen Mund von dem Brief erfahren, den sie vor einem Monat von ihrem früheren Verführer erhalten hatte; er kannte zum Teil sogar den Inhalt dieses Briefes. Gruschenka hatte ihn Mitja damals in einem Moment der Verärgerung gezeigt, aber zu ihrem Erstaunen hatte er diesem Brief fast keinen Wert beigelegt. Und es wäre sehr schwer zu erklären, warum. Vielleicht einfach deswegen, weil er, erregt durch die ganze Ungeheuerlichkeit des Kampfes mit seinem Vater um diese Frau, sich selbst nichts vorstellen konnte, was ihm, wenigstens zu dieser Zeit, gefährlicher hätte werden können. An einen Bewerber, der nach fünfjähriger Abwesenheit plötzlich wieder wie aus einer Kulisse hervorspringt, glaubte er einfach nicht, und schon gar nicht so bald.
    Außerdem war in diesem ersten Brief des »Offiziers« von der Ankunft des neuen Nebenbuhlers nur sehr unbestimmt die Rede gewesen; er war nebelhaft und schwülstig gehalten und strotzte von empfindsamen Redensarten. Allerdings hatte Gruschenka ihm damals die letzten Zeilen des Briefes, in denen von der Rückkehr etwas bestimmter gesprochen war, verheimlicht. Überdies erinnerte sich Mitenka später, daß er auf Gruschenkas Gesicht in jenem Augenblick den unbewußten Ausdruck stolzer Verachtung über diese Botschaft aus Sibirien wahrgenommen hatte. Und später hatte sie ihm von allen weiteren Beziehungen zu diesem Nebenbuhler nichts mehr mitgeteilt. Auf diese Weise hatte er den Offizier allmählich ganz vergessen. Er hatte nur das eine im Kopf: Wie sich die Sache auch weiterentwickeln und welche Wendung sie auch nehmen mochte – der endgültige Zusammenstoß mit Fjodor Pawlowitsch stünde unmittelbar und unvermeidlich bevor. Gespannt erwartete er jeden Moment Gruschenkas Entscheidung. Er glaubte, diese

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