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Die Brüder Karamasow

Die Brüder Karamasow

Titel: Die Brüder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Verhältnisses zu Gruschenka, und sie habe jetzt keinen ergebeneren Beschützer und Freund als diesen bereits unschädlich gewordenen alten Mann.
    Am Tag nach seinem Gespräch mit Aljoscha, nach dem Mitja die ganze Nacht fast nicht geschlafen hatte, erschien er gegen zehn Uhr vormittags in Samsonows Haus und ließ sich melden. Dieses Haus, alt, finster, geräumig, hatte zwei Stockwerke und auf dem Hof einen Seitenflügel, mit mehreren Nebengebäuden. Im unteren Stockwerk wohnten zwei verheiratete Söhne Samsonows mit ihren Familien, eine sehr alte Schwester von ihm und eine unverheiratete Tochter. Im Seitenflügel waren seine beiden Gehilfen untergebracht, von denen der eine ebenfalls eine große Familie hatte. Die Kinder Samsonows wie auch seine Gehilfen waren in ihren Wohnungen sehr eingeengt, denn das obere Stockwerk des Hauses benutzte der Alte allein, und er ließ nicht einmal seine Tochter bei sich wohnen, die ihn pflegte und trotz der Atembeschwerden, an denen sie schon lange litt, von unten zu ihm hinauflaufen mußte, sooft er sie rief. Dieses Obergeschoß bestand aus einer Menge von Paradezimmern, die nach Art der damaligen Kaufmannswohnungen mit langweiligen Reihen plumper Mahagonisessel und -stühle, kristallenen Kronleuchtern und trüb gewordenen Spiegeln an den Fensterpfeilern ausgestattet waren. Alle diese Zimmer standen leer und waren unbewohnt, da der kranke Alte nur in seinem abgelegenen kleinen Schlafzimmer hauste, bedient von einer alten Magd, die ihr Haar in einem Kopftuch trug, und einem Burschen, der sich stets im Vorzimmer aufhielt und dort auf einer Truhe schlief. Gehen konnte der alte Mann wegen seiner geschwollenen Beine kaum noch. Er erhob sich nur selten aus seinem Ledersessel; die alte Magd faßte ihn dann unterm Arm und führte ihn ein- oder zweimal im Zimmer umher.
    Als ihm der »Hauptmann« gemeldet wurde, befahl er sogleich, ihn abzuweisen. Doch Mitja bestand auf seiner Absicht und ließ sich noch einmal melden. Kusma Kusmitsch befragte den Burschen eingehend: wie der Herr aussehe, ob er auch nicht betrunken sei, ob er auch keinen Krakeel mache. Es wurde ihm geantwortet, er sei nüchtern, wolle aber nicht weggehen. Der Alte befahl wieder, ihn abzuweisen. Da schrieb Mitja, der das alles vorhergesehen und für diesen Fall absichtlich Papier und Bleistift mitgenommen hatte, mit großen, deutlichen Buchstaben auf ein Stück Papier: »In einer sehr dringenden Angelegenheit, die Agrafena Alexandrowna nah berührt!« Das schickte er dem Alten hinein. Nach einigem Überlegen befahl der dem Burschen, den Besucher in den Saal zu führen; die alte Magd schickte er aber mit dem Auftrag an seinen jüngsten Sohn nach unten, er möchte sogleich nach oben kommen. Dieser jüngste Sohn, ein Mann von gewaltigem Wuchs und außergewöhnlicher Körperkraft, der keinen Bart trug und sich nach deutscher Art kleidete, während Samsonow selbst in einem Kaftan ging und einen Vollbart trug, erschien sofort, denn wie alle zitterte er vor dem Vater. Der Alte hatte den jungen Mann nicht etwa aus Furcht vor dem »Hauptmann« rufen lassen – er war von Natur keineswegs ängstlich –, sondern nur so für alle Fälle, mehr um einen Zeugen zu haben.
    Schließlich erschien der Alte im Saal, begleitet von seinem Sohn, der ihn untergefaßt hatte, und dem Burschen. Es ist anzunehmen, daß er unter anderem ziemlich neugierig war. Der Saal, in dem Mitja wartete, war gewaltig groß und sehr düster; er rief unwillkürlich eine trübe, gedrückte Stimmung hervor, mit den zwei Fensterreihen, den Galerien, den »marmorierten« Wänden und den drei riesigen Kristallkronleuchtern in Überzügen.
    Mitja saß auf einem Stuhl an der Eingangstür und erwartete in nervöser Ungeduld sein Schicksal. Als der Alte am gegenüberliegenden Eingang erschien, dreißig Schritte von Mitja entfernt, sprang er sofort auf und ging ihm mit festen, langen Militärschritten entgegen. Mitja war anständig gekleidet: zugeknöpfter Oberrock, den Zylinderhut in der Hand, schwarze Handschuhe – genauso wie vor zwei Tagen in der Zelle des Starez, bei der Familienzusammenkunft mit Fjodor Pawlowitsch und den Brüdern. Der Alte erwartete ihn stehend, mit würdevoller, ernster Miene, und Mitja fühlte sofort, daß er ihn von Kopf bis Fuß musterte. Auch fiel ihm Kusma Kusmitschs Gesicht auf, das in der letzten Zeit außerordentlich angeschwollen war: Die an sich schon dicke Unterlippe glich jetzt einem herabhängenden Fladen. Würdevoll und schweigend

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