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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Vergewaltigung ist zu intim, zu peinlich, als dass man darüber reden könnte. Selbst mit einem Menschen, der einen gern hat.
    »Wer ist die Frau auf dem Bild?«, fragte sie.
    »Ich hatte gehofft, Sie könnten mir das sagen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Und ich weiß auch nicht, wer das geschickt hat.«
    Der Stuhl knarrte, als er aufstand. Sie spürte seine Hand auf ihrer Schulter; seine Körperwärme, die durch die grüne Seide drang. Sie hatte sich nicht wieder umgezogen und war immer noch geschminkt und für den Abend zurechtgemacht. Die ganze Idee mit dem Ausgehen kam ihr jetzt lächerlich vor. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Hatte sie geglaubt, sie könne wieder so sein wie alle anderen? Sie könne wieder ein ganzer Mensch sein?
    »Catherine«, sagte er. »Sie müssen mit mir über das Foto sprechen.«
    Seine Hand drückte ihre Schulter noch etwas fester, und ihr wurde plötzlich bewusst, dass er sie mit ihrem Vornamen angesprochen hatte. Er stand dicht hinter ihr, so nahe, dass sie seinen warmen Atem in ihren Haaren spüren konnte, und doch fühlte sie sich nicht bedroht. Hätte irgendein anderer Mann sie so angefasst, wäre es ihr wie ein Übergriff vorgekommen. Doch Moores Berührung empfand sie nur als beruhigend.
    Sie nickte. »Ich werde es versuchen.«
    Er zog einen zweiten Stuhl heran, und sie setzten sich beide an den Computer. Sie zwang sich, den Blick auf das Foto zu richten. Die Frau hatte lockiges Haar, das wie ein Haufen Korkenzieher das Kopfkissen bedeckte. Ihre Lippen waren mit einem silbrigen Streifen Klebeband versiegelt, doch ihre Augen waren offen und wach, die Netzhäute blutrot im Schein des Blitzlichts. Das Foto zeigte sie von der Taille aufwärts. Sie war an das Bett gefesselt, und sie war nackt.
    »Erkennen Sie die Frau?«, fragte er.
    »Nein.«
    »Kommt Ihnen an dem Foto irgendetwas bekannt vor? Das Zimmer, die Möbel?«
    »Nein. Aber …«
    »Was?«
    »Mit mir hat er das auch gemacht«, flüsterte sie. »Andrew Capra hat Fotos von mir gemacht. Mich an mein Bett gefesselt …« Sie schluckte krampfhaft, überwältigt von dem Gefühl der Erniedrigung, als sei es ihr eigener Körper, der Moores Blicken so schamlos ausgesetzt war. Unwillkürlich verschränkte sie die Arme, wie um ihre Brüste vor weiteren Angriffen zu schützen.
    »Diese Datei wurde um neunzehn Uhr fünfundfünfzig gesendet. Und der Name des Absenders, SavvyDoc – sagt der Ihnen etwas?«
    »Nein.« Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Frau, die sie mit leuchtend roten Augen anstarrte. »Sie ist wach. Sie weiß, was er gleich tun wird. Darauf wartet er nur. Er will, dass du wach bist, damit du die Schmerzen fühlst. Du musst wach sein, sonst macht es ihm keinen Spaß …«
    Sie redete über Andrew Capra, und dennoch war sie unversehens in die Gegenwartsform verfallen, als sei Capra noch am Leben.
    »Wie könnte er an Ihre E-Mail-Adresse gekommen sein?«
    »Ich weiß ja nicht mal, wer er ist.«
    »Er hat das hier an Sie geschickt, Catherine. Er weiß, was in Savannah mit Ihnen passiert ist. Fällt Ihnen irgendjemand ein, der so etwas tun könnte?«
    Nur einer, dachte sie. Aber der ist tot. Andrew Capra ist tot.
    Moores Handy läutete. Sie wäre beinahe von ihrem Stuhl aufgesprungen. »Mein Gott«, stieß sie hervor, als sie sich mit pochendem Herzen wieder zurücklehnte.
    Er klappte das Telefon auf. »Ja, ich bin gerade bei ihr …«
    Er hörte einen Augenblick lang zu und sah dann plötzlich Catherine an. Die Art, wie er sie anstarrte, erschreckte sie.
    »Was ist denn?«, fragte Catherine.
    »Es ist Detective Rizzoli. Sie sagt, sie hat herausgefunden, woher die E-Mail kam.«
    »Und wer hat sie geschickt?«
    »Sie selbst, Catherine.«
    Er hätte ihr ebenso gut eine Ohrfeige versetzen können. Zu geschockt, um irgendetwas zu erwidern, konnte sie nur stumm den Kopf schütteln.
    »Der Name ›SavvyDoc‹ wurde heute Abend erst angelegt, und dazu wurde Ihr AOL-Account benutzt«, sagte er.
    »Aber ich habe zwei getrennte Accounts. Der eine ist für meinen persönlichen Gebrauch…«
    »Und der andere?«
    »Für meine Mitarbeiter im Büro, damit sie während meiner Abwesenheit …« Sie hielt inne. »Das Büro. Er hat den Computer in meinem Büro benutzt.«
    Moore hielt das Handy ans Ohr. »Haben Sie das mitbekommen, Rizzoli?« Eine Pause, und dann: »Gut, wir sehen uns also dort.«
     
    Detective Rizzoli wartete gleich vor Catherines Räumen im Medical Center auf sie. Auf dem Flur hatte sich bereits eine

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