Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
du kein Tier erlegt.
    Da Brunftzeit war, ließen die Bullen nicht selten ihre Geweihschaufeln gegeneinanderkrachen und trieben durch ungestüme Verfolgungsjagden Kühe und Kälber in die Flucht. Die größten Bullen hatten mächtige Nacken und dichte, lange Mähnen, die vom Hals bis zu den Knien reichten; an einigen Geweihstangen, die sich noch nicht zur Gänze geschält hatten, hingen blutige Fetzen. Etliche dieser blutigen Fetzen hatten sich im Rand des dichten Gestrüpps verfangen, das an beiden Seiten der Senke wuchs. Die Herde scheute vor diesen Fetzen ebenso zurück wie vor den Torfmännern, die mit ausgebreiteten Armen auf den Bergkuppen und an den Ufern standen.
    Es sah fast so aus, als würden sie die Beute in eine bestimmte Richtung lenken, dachte Torak.
    Erst jetzt fiel ihm auf, wie mager die Tiere waren. Nach einem Sommer auf den saftigen Weiden hätten sie dicke Fettpolster auf den Rücken tragen müssen. Eine junge Kuh scherte aus der Herde aus und machte einen mitleiderregenden Versuch zu äsen, indem sie vergeblich das Eis unter ihren Hufen wegscharren wollte. Schließlich gab sie es auf und trabte erschöpft weiter.
    Jetzt hatten Torak und Renn die von dichtem Gestrüpp umwucherten Felsen am Ufer erreicht. Er sah, wie die Tiere sich gegenseitig anrempelten, um so schnell wie möglich ins Wasser zu kommen. Rosafarbene Zungen glitten über gelbe Zähne. Moschusgeruch lag schwer in der Luft. Torak vernahm das unverkennbare Knacken der Sehnen, sobald die Hufe den gefrorenen Boden berührten. Er legte einen Pfeil in den Bogen ein.
    Renn schob die Kapuze zurück, fixierte ein Tier und zielte.
     
    Wolf biss kräftig zu und der Bock mit dem gebrochenen Bein erschlaffte.
    Rasend vor Hunger grub Wolf die Zähne tief in den Bauch der Beute. Ein Schwall köstlicher, glitschiger Eingeweide rutschte heraus. Er schlang alles bis auf einen moosig riechenden Beutel herunter. Als der Bauch des Bocks leer und Wolfs eigener beinahe voll war, machte er sich über die Hüfte her und riss Stücke des heißen, saftigen Fleisches heraus.
    Rip und Rek kamen herbeigeflattert und hüpften auf die Beute zu. Ohne die Schnauze zu heben, vertrieb Wolf die beiden mit einem Knurren. Sie stelzten davon und warteten ab, bis sie an die Reihe waren.
    Der Hunger war gestillt. Wolf bekam keinen Bissen mehr herunter. Jetzt war er durstig. Seine Schnauze und das Brustfell waren mit Blut verklebt. Er trottete ans Ufer, schlabberte das Nass und überließ die Beute den Raben.
    Als er nach einer Weile seinen Durst gelöscht hatte und den Kopf hob, witterte er den Geruch von Schwanzlosen. Er sog den Duft tief ein.
    Nicht seine Schwanzlosen.
    Andere.
     
    Renn wollte gerade ihren Pfeil abschießen, als die Beute am seichten Ufer schwankte und niederstürzte. Zwischen den Rippen des Tieres stak ein Speer. Der Schaft bebte noch.
    Ein Speer .
    Torak sah sie überrascht an und senkte den Bogen. Woher kam diese Waffe plötzlich?
    Der Speer hatte das Rentier so sauber getroffen, dass die Herde im aufspritzenden Wasser ahnungslos an ihm vorbeilief. Aus dem Schutz der Weidenbüsche spähten Torak und Renn das Ufer hinunter. Der Speerwerfer musste im Fluss gestanden haben …
    Tatsächlich: Dort drüben, im Flusslauf, inmitten der Herde. Ein Kanu aus Leder. Am Bug erkannte Torak einen geschnitzten Rentierkopf, am Heck einen Stummelschwanz. Das Kanu lag tief im Wasser, die Jäger darin waren kaum zu sehen; jedenfalls handelte es sich um vier Personen, da war er sich sicher. Er kam nicht umhin, ihre listige Verkleidung zu bewundern: An ihren Köpfen waren Geweihe befestigt, die Gesichter dunkelbraun gefärbt, mit hellen Flecken um Nase und Mund, genau wie bei Rentieren. Ein zweites Kanu glitt flussabwärts heran, und Renn deutete auf zwei weitere Boote, die sich gegen den Strom näherten.
    Torak ließ den Blick nachdenklich über die Geweihhautfetzen am Rand des Gestrüpps und die Torfmänner mit ausgebreiteten Armen wandern. Man hatte sie dort aufgestellt, um die Herde zum Fluss zu treiben, wo die schwimmenden Tiere nicht fliehen und mühelos erlegt werden konnten.
    Renn hatte es ebenfalls begriffen. »Nun ist es doch passiert. Wir haben eine andere Jagd gestört!«
    Einer der Jäger in den Kanus zielte auf ein weißes Rentier im Wasser. Gerade als er mit dem Speer ausholte, stieß ein Rabe wie aus dem Nichts herunter.
    »O nein«, murmelte Renn erschrocken.
    Rip hatte vorzüglich gegessen und war zu Späßen aufgelegt. Er glitt im Tiefflug über die

Weitere Kostenlose Bücher