Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)
denen man aufgetragen hatte, auf die Schlitten aufzupassen.
Die Schlitten bestanden aus Geweihstangen, die mit Weidenruten aneinandergebunden waren. Die Kufen waren mit gefrorenem, glatt geriebenem Schlamm bestrichen. Diese Schlitten waren kleiner als die im Hohen Norden: Es gab nur einen Sitzplatz, hinter dem der Fahrer stand. Zuerst machte Krukoslik Renn mit seinen Zughunden bekannt. Seiner Ansicht nach hatten Hunde ebenso viel Anrecht auf Höflichkeit wie Menschen, was ihn in Renns Augen noch sympathischer machte.
Die Schlitten ratterte über den eisigen Boden in Richtung Norden. Krukoslik kam ohne Peitsche zurecht: Er rief seinem Leithund Befehle zu und der kümmerte sich um den Rest. Während der Fahrt fragte er Renn nach Neuigkeiten aus dem Wald. Als sie von der Mottenplage und Schattenkrankheit berichtete, runzelte er die Stirn und berührte seine Clantätowierung. Fin-Kedinns Alleingang bereitete ihm sichtlich Sorgen, doch seine Miene hellte sich auf, als er erfuhr, dass Wolf sie begleitete. Dennoch bat er Renn, seinen Namen nicht laut auszusprechen.
»Alle, die im Auge der Berge leben, hüten sich, Namen auszusprechen. Den Grauen, euren Rudelgefährten, nennen wir Geisterjäger. Niemand versteht es so geschickt wie er, sich anzuschleichen. Wir nennen auch die Beute nie beim Namen, denn sie hat feine Ohren und könnte unsere Jagdpläne belauschen. Wir nennen sie die Gehörnten.«
Er machte eine besorgte Miene. »Es ist gut, dass ihr den Geisterjäger mitgebracht habt. Seit drei Monden haben wir hier in den Kahlen Bergen keinen seiner Art mehr gesehen oder gehört – mit Ausnahme eines toten Tiers, das die Jäger der Ebereschen im Westen gefunden haben. Sie haben Futter neben seine Schnauze gelegt, damit seine Seelen nicht hungern, und ihn in Frieden ruhen lassen. Wir fürchten, die anderen könnten wegen…«, er senkte die Stimme, »wegen der einen Bösen geflohen sein.«
Renn warf einen Blick über die Schulter. Die zerklüfteten Gipfel waren mit einem Mal bedrohlich nahe.
Während der restlichen Fahrt schwieg der Anführer der Berghasen. Bei ihrer Ankunft im Lager färbten sich die Schatten violett. Aus der Ferne hatte das Lager, das sich an das Ufer des grauen Sees schmiegte, geradezu winzig zwischen den mächtigen Bergen ausgesehen. Erst aus der Nähe stellte Renn fest, wie viele wabenförmige Hütten dort in Wirklichkeit standen. Golden schimmerndes Licht drang aus dem großen Lederzelt der Berghasen, den gewölbten Torfhütten der Ebereschen und den länglichen, mit Schnee bedeckten Hügeln, die, wie Krukoslik ihr erklärte, den Schwänen gehörten.
»Die Zeiten sind schwierig geworden«, sagte er. »Die Bergclans müssen zusammenbleiben. Das ist unsere einzige Chance.«
Hundegekläff empfing die Neuankömmlinge, Lichtstrahlen fielen auf den Schnee, als Jäger ins Freie traten, um sie zu begrüßen. Krukoslik reichte ihr ein Knochenmesser, mit dem sie den Schnee von ihrer Kleidung schabte. Starr vor Kälte folgte sie ihm anschließend in das Zelt der Berghasen.
Ein einladender Wärmeschwall und das herrliche verrauchte Duftgemisch aus warmem Essen und dicht gedrängten Menschen schlug ihr anheimelnd entgegen. In einem Ring aus Steinen glühte ein großes Torffeuer. Rings um die Feuerstelle lagen Rentierhäute auf mehreren Schichten biegsamer Birkenrinde. Dort hatten sich die Männer und Frauen der Berghasen niedergelassen. Sie nähten oder schärften Speerspitzen. Aus den Kochledern wallte Dampf. Mit einem Mal verspürte Renn einen Bärenhunger.
Sie legte die Überkleidung ab und hängte sie zum Trocknen an eine der Querstangen, dann folgte sie Krukoslik ans Feuer. Diesmal achtete sie darauf, dem Feuer nicht den Rücken zuzukehren. Obwohl die Mitglieder des Berghasenclans ihr freundlich zunickten, fühlte sie sich fremd und wünschte, Torak wäre bei ihr.
Mit Bedacht ließ sich Krukoslik am anderen Ende des Großzeltes nieder. »Hier sind wir den Bergen am nächsten«, erklärte er, als sie neben ihm Platz nahm. Er dankte dem Feuer und den Gehörnten für die Mahlzeit und die anderen Clanmitglieder schlossen sich dem Dank an. Auch Renn dankte ihrem Clanhüter leise murmelnd. Dann fing die Mahlzeit an.
Eine Frau reichte ihr einen Napf und erklärte, der Eintopf bestehe hauptsächlich aus Fett: Zerstoßenes Knochenmark und Rückenfett, Zunge sowie die fettesten Innereien.
»Fleisch ist gut«, sagte sie. »Aber hier, in den Kahlen Bergen, geht nichts über Fett.«
Die gehaltvolle Brühe
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