Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)
war äußerst kräftigend, es störte nur, dass das Fett an Renns Gaumen kleben blieb und sie es mit Heidekrauttee herunterspülen musste. Als nächstes Gericht folgte Rentiermagen, gefüllt mit vorgekauten Flechten – was sie höflich ablehnte –, und Platten mit gebratenen Rippchen und zähen Ohren. Den kleinen Berghasen servierte man Schalen mit Aspik aus Rentierfüßen und eine Mutter gab ihrem zahnenden Kind ein Stückchen gefrorenes Mark zum Kauen. Die Älteren erhielten die Augäpfel der erlegten Tiere und knabberten das Fett herunter, bevor sie die glibberigen Kugeln ganz in ihren Mund steckten.
Krukoslik entschuldigte sich, weil keine Beeren gereicht wurden. »Das liegt am Eis«, sagte er. Es war das einzige Mal, dass er darauf zu sprechen kam.
Als Renn satt war, kuschelte sie sich in den Schlafsack und lauschte dem knisternden Feuer und dem Stimmengemurmel. Trotz ihrer Erschöpfung – sie spürte das Wackeln des Schlittens in jedem einzelnen Knochen – fühlte sie sich zum ersten Mal seit Tagen sicher. Dort draußen hielt Eostra die Kahlen Berge in ihrem eisigen Griff. Drinnen im Zelt vergaß man beinahe die ringsum drohende Gefahr.
Schläfrig vernahm sie das leise Ächzen der Zeltstangen, die gegen die Zeltwände prasselnden Schneeböen. Im rauchgeschwängerten Halbdunkel kletterten die nackten Kleinkinder über ihre Eltern. Ohne auch nur von ihrer Arbeit aufzusehen, sorgten diese dafür, dass ihr Nachwuchs dem Feuer nicht zu nahe kam. Das Leben der Bergclans war noch entbehrungsreicher und unsicherer als das anderer Clans; vielleicht genossen sie deshalb die sorglosen Augenblicke umso mehr.
Die Spuren, die das schwere Leben hinterließ, waren nicht zu übersehen. Einige Berghasen hatten bei der Rentierjagd ein Auge eingebüßt, anderen hatte der Frost die Finger abgebissen. Krukoslik hatte ihr erzählt, dass sein Clan den Kindern erst im achten Sommer einen Namen verlieh, falls sie vorher erkrankten und zurückgelassen werden mussten.
Über diesen Gedanken war Renn eingeschlummert.
Rufen und Lachen riss sie aus dem Schlaf. Torak und Chelko waren eingetroffen.
Strahlend berichtete Chelko, wie Torak den Geisterjäger gerufen hatte, mit dessen Hilfe sie das verwundete Rentier aufgespürt hatten. »Ich habe es mit einem Speerwurf erlegt. Kurz darauf kamen einige Jäger vom Ebereschenclan. Sie haben uns mit ihren Schlitten geholfen, die Beute herzubringen.«
Die Clanmitglieder musterten Torak vorsichtig und respektvoll und eine Frau brachte Wolf einen Rentierkopf nach draußen.
Torak hatte Renn entdeckt und setzte sich, noch vom reinen, kalten Geruch der Nacht eingehüllt, neben sie. Während er eine Schale mit Eintopf leerte, fragte er, ob es ihr besser gehe.
»Natürlich geht es mir besser«, erwiderte sie schroff.
Torak tat so, als wehrte er einen unsichtbaren Fausthieb ab.
Ringsum wurde aus dem lebhaften Geplauder nach und nach leises Murmeln, die Kinder kuschelten sich in ihre Schlafsäcke. Die Schamanen der drei Clans traten ein und umkreisten die versammelte Schar unter gemurmelten Beschwörungszaubern.
»Damit wir in Sicherheit sind«, flüsterte eine Schamanin Renn zu. Sie trug eine Halskette aus weißen Federn und ihre Clantätowierung bestand aus dreizehn roten kreisförmig angeordneten Punkten, die die dreizehn Monde des Jahres darstellten. Ihre Augen waren blass und farblos, ausgebleicht vom Starren in endlose Weiten. Durch den Beinknochen eines Schwans blies sie Erdblut auf die Wände und hauchte den Abbildern der Clanhüter Leben ein. Ein Hase setzte sich auf die Hinterläufe und blickte sich aufmerksam nach drohender Gefahr um. Ein Schwan glitt auf weißen Schwingen vorbei. Ein Baum breitete schützend seine Äste aus. Auf den Zeltwänden waren auch Spiralen, Rentiere und bisonartige Wesen mit nach unten gekrümmten Hörnern zu sehen.
Renn überlief ein Schauer. Die Schamanin der Schwäne hatte es ihr wieder zu Bewusstsein gebracht. Zwischen ihr und dem Dunkel befand sich nicht mehr als eine Rentierhaut.
Torak hatte die Arme um die Knie geschlungen und beobachtete, wie die Funken aufstoben und durch das Rauchloch nach oben zischten.
Mit einem Mal empfand Renn deutlich, wie sehr all das Ungesagte sie voneinander entfernt hatte. Sie wusste, dass Torak Geheimnisse vor ihr hatte. Als er im Eissturm seinen Medizinbeutel ausgeleert hatte, hatte sie den Rest der schwarzen Wurzel gesehen, mit deren Hilfe er seine Seele auf Wanderschaft schicken konnte. Saeunn musste ihm die
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