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Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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konnte sich aber nicht bewegen. Ihre Hände lagen wie Steine in ihrem Schoß.
    Die Gestalt im Eingang durfte sich nicht umdrehen. Sobald sie den Blick auf Renn richtete, würde ihr Herz aufhören zu schlagen.
    Langsam wandte sich die Gestalt zu ihr um.

Kapitel 20

    Eostra, die Maskierte, die sogar die Seelenesser gefürchtet hatten. Hinter dem geschnitzten, leicht geöffneten Mund der Maske lauerte Dunkelheit. Der starre Blick ließ Renn das Mark in den Knochen gefrieren.
    Eisige Kälte drang in das Zelt. Das Feuer zerfiel zu Asche. Eis überkrustete die Rentierhäute und die Gesichter der Schlafenden. Renns Atem stieg in dichten Wolken auf.
    Torak, der neben ihr schlief, hatte einen Arm über den Kopf gelegt. Frost umhüllte seine Wimpern und glitzerte auf seiner Haut. Seine Lippen waren weiß.
    Renn rief seinen Namen. Er rührte sich nicht. Als sie ihn etwas lauter wiederholte, verriet einzig ein frostiger Atemhauch, dass er noch am Leben war.
    »Sie können nichts hören«, sagte eine Stimme, die wie das Rasseln von Knochen klang. »Sie bekommen nichts mit. So wünscht es Eostra.«
    »Du bist nicht wirklich«, erwiderte Renn tapfer.
    »Eostras Wille wird geschehen. Eostra ist die Herrin der Ruhelosen Toten. Eostra herrscht über Berg und Wald, über Eis und Meer.« Ihre Stimme war kalt und unbarmherzig. Die Eulenschamanin kannte nur ein Gefühl: die Gier nach Macht.
    Aber war nicht auch sie, Renn, Schamanin? Mit bebenden Lippen stimmte sie murmelnd einen Abweisungszauber an, der das Böse aus dem Zelt verbannte.
    Die Maskierte bewegte sich nicht, doch Renn spürte plötzlich, wie würgende Eisfinger nach ihrer Kehle griffen.
    »Niemand hält Eostra auf.«
    »Du bist nicht wirklich!«, stieß Renn keuchend hervor. »Ich habe keine Angst vor dir.«
    »Alle fürchten Eostra.« Langsam hoben sich die gefiederten Arme, wurden zu Flügeln, und dann stand die Maskierte auch schon beim erloschenen Feuer, wo sie sich drohend über Renn beugte.
    Torak lag zwischen ihnen. Renn sah, wie das unreine Federkleid um ihn wallte. In seiner Halsschlagader pochte sachte der Puls. Er war ihr ausgeliefert. Schutzlos.
    »Du kannst ihn nicht haben«, sagte sie.
    Die entsetzliche Maske beugte sich zu ihr herüber, kam unerträglich nah. Aschfarbenes Haar glitt über ihre Wange. Es roch nach Verwesung.
    » Der Seelenwanderer «, raunte Eostra, »ist bereits verloren.«
    Renn starrte in die erbarmungslosen aufgemalten Maskenaugen. Lähmendes Entsetzen packte sie und alle Hoffnung erlosch.
    Mit einem Aufschrei riss sie den Blick los. Sie sah, dass sich die Hand der Seelenesserin um den Knauf einer Keule schloss. Ihre Haut war grau und körnig wie Granit, die langen, krummen Fingernägel bläulich unterlaufen wie die einer Leiche. Zwischen den Fingern leuchtete der Feueropal hervor, blutrot und feurig.
    »Seine Zeit läuft ab«, sagte die Maskierte.
    Eine panische Angst befiel Renn, verhakte sich in ihrem Herzen. »Das kannst du nicht wissen.«
    »Eostra weiß alles. Er kann ihr nicht entfliehen.« Sie streckte einen gefiederten Arm aus und scharrte in der Asche. Dann öffnete sie die Hand. Asche, fein wie der Staub zerstoßener Knochen, rieselte leise zischend über Toraks ungeschütztes Gesicht. In seinen Mund. Auf seine Augen.
    »Nein«, sagte Renn.
    »Eostra wird die Kraft aus seinem Mark saugen. Sie wird seine Weltseele verschlingen und seine Überreste in die ewige Nacht speien.«
    »Nein!«
    »Dann werden ihre Seelen für alle Zeiten auf Wanderschaft gehen, von einem Körper zum anderen. Eostra wird den Tod besiegen. Alle beugen das Haupt vor der Unsterblichen. Eostra wird für immer leben !«
    »Niemals!«, schrie Renn gellend. » Nein, nein, nein, nein, nein! «
    Laute Männerstimmen drangen von fern an ihr Ohr. Hunde kläfften. Das ganze Zelt war in Aufruhr.
    »Renn!« Torak beugte sich über sie. »Wach auf!«
    Sie schrie unaufhörlich: »Nein! Du kannst ihn nicht haben.«
    Die Adlereule starrte vom Rand des Rauchloches böse auf sie herab. Dann breitete sie die Schwingen aus und glitt davon in die Dunkelheit.
     
    »Hattest du eine Vision?«, fragte Torak. »Sag doch, Renn. War das eine deiner Visionen?«
    »Das war keine Vision. Es ist wirklich passiert.«
    »Aber sie war doch nicht hier, im Zelt.«
    »Doch, sie war hier.«
    Sie saßen gegen die aufgestapelten Torfstücke gelehnt: Renn hielt ihre Knie umschlungen, Torak hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt. Krukoslik war zur Unterkunft des Schwanclans gegangen, um mit deren

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