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Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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langsam. Der eiskalte Wind peitschte ihm ins Gesicht, dass seine Schläfen wehtaten. Er zog die Axt vom Gürtel. Sie rutschte ihm aus den Händen und fiel in die Felsspalte. Entsetzt sah er ihr nach, bis sie unten scheppernd aufschlug.
    Der Hund war nicht mehr zu sehen.
    Torak schaute fassungslos in die Tiefe, hatte den Verlust der Axt noch nicht richtig begriffen.
    Plötzlich spürte er einen Blick auf sich ruhen.
    Er drehte sich um.
    Zwanzig Schritt entfernt, auf den Felsen unterhalb der schroffen Bergwände, stand die Adlereulenschamanin.
    Ihre leblose, todesähnliche Maske hatte das fahle Weiß verstreuter Knochen. Der Mundschlitz war zu einem tonlosen Schrei aufgerissen. Eine Hand hielt eine Keule umklammert, die mit einem leuchtend roten Stein besetzt war; die andere umschloss einen dreizackigen Spieß, einen Spieß zum Einfangen von Seelen.
    Torak tastete nach seinem Messer. Er wusste, es würde ihm gegen eine Seelenesserin nicht viel helfen, aber es hatte einmal Fa gehört und gab ihm den Mut, standhaft zu bleiben.
    Die Boshaftigkeit der Eulenschamanin knisterte wie Blitze um sie herum und hielt ihn auf Abstand.
    Er dachte an Wolf, der von der Meute gejagt wurde. »Ruf sie zurück«, rief er ihr keuchend zu.
    Die aufgemalten Eulenaugen verfinsterten sich. Kein Ton drang aus dem Mundschlitz.
    »Ruf deine Hunde von meinem Rudelgefährten weg!«, brüllte Torak. »Jetzt hast du doch, was du wolltest! Ich bin hier!«
    Die Maskierte rührte sich nicht, doch hinter ihr sah Torak einen Schatten, der sich wie Flügel ausbreitete. Er spürte, wie ihre Niedertracht auf seinen Verstand einhämmerte.
    Dann ertönte aus der albtraumhaften Maske ein Schrei, der seinen Schädel schier spaltete. Er hallte zwischen den Felsen wider, wurde lauter und lauter; Knochensplitter bohrten sich in sein Gehirn …
    Dreh dich um, Torak.
    Torak warf einen Blick nach hinten – und duckte sich zu spät. Die Adlereule erwischte ihn seitlich am Kopf. Er verlor das Gleichgewicht, taumelte auf die Felskante zu. Über ihm drehte die Eule zum nächsten Angriff bei.
    In diesem Augenblick kam ein großer weißer Vogel aus dem Nebel geschossen, die Krallen nach der Eule ausgestreckt. Die Eule musste ihm ausweichen und flog einen Bogen, um Torak erneut anzugreifen.
    Er torkelte nach hinten und fiel.

Kapitel 28

    Als Torak erwachte, schwebte er in einer Wolke. Sie war weich und hell und herrlich warm.
    Mit einiger Anstrengung schlug er die Augen auf. Durch einen feinen Nebel sah er weiße Rentiere über sich hinwegspringen. Weiße Vielfraße trotteten friedlich neben weißen Lemmingen und Schneehühnern dahin. Ein schneeweißer Moschusochse graste neben einem Raben, hell wie Frost.
    »Bin ich tot?«, murmelte er.
    »Das glaube ich nicht«, sagte eine Stimme, die von weit her zu kommen schien.
    Torak seufzte.
    Erst später wurde ihm klar, dass die Stimme recht haben musste, denn er steckte immer noch in seinem Körper. Seine obere Kleidung war verschwunden, er trug aber noch seinen Wams und seine Unterbeinkleider. Die Wolke kitzelte seine bloßen Füße.
    »Wo bin ich?«, murmelte er.
    »Hier«, sagte die Stimme leise.
    Torak versuchte zu verstehen. »Seid ihr das Verborgene Volk?«
    Nach einer kurzen Pause meldete sich die Stimme wieder: »Ich verberge mich. Aber ich bin keiner von denen.«
    Der Nebel löste sich nach und nach auf. Torak stieg Holzrauch in die Nase. Er hörte irgendwo Wasser tropfen, das Fauchen eines Feuers. Er spürte die Enge in der Brust, die ihn nur dann befiel, wenn er sich in einer Höhle aufhielt.
    Er riss die Augen auf.
    Er lag auf einer Matte aus Hasenfell unter einer Decke aus Moschusochsenwolle. Die Höhle war so eng, dass er sie mit den Armen hätte umspannen können, musste aber schätzungsweise ziemlich tief sein. Hinter seinen Füßen verhüllten zusammengenähte Felle den Höhleneingang. Nur an ihren Rändern drang Tageslicht herein. Ein Stück näher bei ihm warf ein Feuer seinen roten Schein auf die Wände. Torak sah bündelweise Heidekraut und getrockneten Ochsenmist; dazu jede Menge Kräuter, Pilze und Forellen, die zum Räuchern aufgehängt waren.
    Weiße Rentiere und Schneeochsen waren mit Gips auf die Wände gemalt. Lemminge, Vielfraße und Moorhühner waren bis ins letzte Eckchen in den Schiefer gekratzt und mit Kreide bestäubt. Der weiße Rabe allerdings war echt. Er kauerte auf einem Stein und spähte neugierig zu Torak herüber. Federn, Beine, Krallen und sogar sein Schnabel waren weiß. Doch seine

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