Die Chronik der dunklen Wälder - Seelenwächter: Band 6 (German Edition)
wanderte Toraks Blick über Ebereschen und Birken, Eichen und Buchen; Kiefern und Fichten standen über ihren schlummernden Schwestern Wache. Und er, dessen Seele in die ältesten Bäume des westlichen Waldes gewechselt war, hörte nun den Ruf des östlichen Waldes. Ich bin grenzenlos und beständig, murmelte es in seinem Kopf. Ich gebe allem Leben, was in mir weilt. Ich bin es wert, dass man um mich kämpft.
Trotz regte sich in Toraks Seelen. Wenn er jetzt aufgab, hatte Eostra gewonnen. Nirgendwo würde man mehr sicher sein. Die Seelenesserin würde die Haut zwischen den Lebenden und den Toten zerreißen, und damit wäre das Gleichgewicht der Welt zerstört.
Die Sonne ging unter. Die Helligkeit schwand aus dem Wald. Die Zeit der Dämonen war angebrochen.
Torak stapfte den Hang hinunter zu der Stelle, an der Wolf und Dark auf ihn warteten. Dann ging er auf die Narbe zu.
Zwei Schritte davor blieb er stehen. »Pass gut auf Wolf auf«, sagte er zu Dark. »Ich muss ihn hier bei dir lassen.«
»Aber… wir kommen mit dir!«, sagte Dark entsetzt. »Du brauchst mich, um den Weg zu finden.«
»Dark, ich glaube nicht, dass ich das überlebe. Es hat keinen Sinn, wenn du dich ebenfalls umbringen lässt. Und was den Weg angeht…« Er schluckte. »Ich nehme an, die dort drin werden ihn mir schon zeigen.«
Er kniete nieder, um Wolf ein letztes Mal Lebewohl zu sagen. Wolf Lebewohl sagen. Das war doch unmöglich.
Denk nicht daran, wie Wolf auf dem Berg zurückbleibt: verwirrt, unfähig zu begreifen, warum sein Rudelgefährte ihn im Stich gelassen hat.
Wolf schnüffelte an seinem Nacken herum. Torak spürte das Kitzeln der Barthaare und die Wärme seines Atems. Rudelgefährte , sagten die goldenen Augen, klar wie Sonnenlicht in Honig.
Wolf wusste nichts von Prophezeiungen oder den verrückten Vorhaben Eostras; aber er würde seinem Rudelgefährten selbst in den Schrecken der Narbe hinein folgen.
Mit einem unterdrückten Schluchzen barg Torak sein Gesicht in Wolfs Nacken. Wolf winselte leise und leckte ihn am Hals. Ich bin bei dir.
Wolf zurückzulassen wäre ein Verrat, den er nie verstehen würde. Ein Verrat, von dem er sich nie erholen würde.
»Ich kann es nicht«, sagte Torak mit brüchiger Stimme. »Wo ich hingehe, geht er auch hin.«
Als er aufstand, bemerkte er eine kaum wahrnehmbare Bewegung in der Narbe.
Wolf senkte den Kopf und knurrte.
»Siehst du das?«, flüsterte Dark.
Tief in der Narbe kauerte ein Tokoroth auf einer dunklen Steinsäule.
Böse Dämonenaugen funkelten durch struppiges, filziges Haar. Das Geschöpf zeigte mit einer gelben Klaue stumm auf Torak und richtete seinen skelettartigen Arm dann auf die Dunkelheit hinter sich.
Torak warf einen Blick zurück auf die Welt, die er verlassen sollte. Dann betrat er mit Wolf an seiner Seite die Narbe.
»Ich begleite dich!«, rief Dark.
Unsichtbare Hände rollten den Felsbrocken vor den Eingang und versperrten ihm den Weg.
Der Berg hatte Torak und Wolf verschluckt.
Kapitel 32
Renn fiel vor dem heiligen Berg auf die Knie.
Die Nacht der Seelen. Sie spürte die Anwesenheit der Geister, denen sie gebührte.
Mit zitternden Händen bot sie eine Opfergabe aus Erdblut und Fleisch dar. Leise vor sich hin murmelnd, bat sie den Berg, sie einzulassen. Dann schüttete sie das, was von dem Ocker übrig war, über ihr Haar, damit es sie vor den Geistern beschützte.
Der Himmel leuchtete im Tiefblau der Abenddämmerung. Die Kälte war unerbittlich. Ihr Atem knisterte in den Nasenlöchern. Ihr Knöchel tat weh und ihre Füße waren wund von dem Hügel mit den tückischen Schieferklingen.
Ein paar Schritte entfernt bewegte sich ein Schatten. Er bellte leise. Dunkelfell kam mit großen Sprüngen auf sie zu. Sie hielt den Schwanz aufgestellt, ihr Fell war vor Freude ganz flauschig. Ihre sternklaren Augen schimmerten silbern.
Renn fasste neuen Mut. »Na, dann komm«, murmelte sie. »Schauen wir uns deine Pfoten mal an.«
Um sie vor den Steinklingen zu schützen, hatte Renn ihren Vorratsbeutel aufgeschnitten und Pfotenstiefel daraus gemacht. Sie hatten sich bewährt. Die Ballen der Wölfin waren kaum zerkratzt.
Ein tiefer Schlaf und der Breiumschlag hatten Wunder gewirkt. Nachdem Dunkelfell ihre Wunde sauber geleckt und den größten Teil von Renns Vorräten gefressen hatte, war sie fast wieder bei Kräften gewesen. Bereits am Mittag drehte sie ihre ersten Runden rings um das Lager, zwar noch hinkend, aber schon eifrig den Duftspuren ihres Gefährten
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